Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
folgten die großen Platten: die nappierten Straßburger Zungen, die mit der roten Glasur ihrer Haut blutig wirkten neben den bleichen Würstchen und Schweinefüßen; die schwarzen, wie gutmütige Nattern zusammengerollten Blutwürste; die paarweise aufeinandergestapelten, vor Gesundheit strotzenden Bratwürste; die Dauerwürste, die in ihrem Silberornat steifen Kirchensängern glichen; die Pasteten, die noch ganz warm waren und die Fähnchen ihrer Etiketts trugen; die dicken Schinken, die großen gefrorenen Stücke Kalb und Schwein, deren Gelee durchsichtig wie Zuckerkandis war. Ferner standen da geräumige Schüsseln, auf deren Boden Fleischstücke und Gehacktes in geronnenem Fett schlummerten. Zwischen die Teller und Platten waren auf der Unterlage aus blauem zurechtgeschnittenem Papier Gefäße mit eingemachten Früchten, mit durchgeseihter Kraftbrühe, eingelegten Trüffeln, Schüsseln mit Gänseleber und schillernde Büchsen mit Thunfisch und Sardinen verstreut. Ein Kasten mit Milchkäse und ein anderer mit in Kräuterbutter angemachten und wieder ins Gehäuse gestopften Weinbergschnecken waren nachlässig in die beiden Ecken gestellt. Schließlich hingen ganz oben von einem Gestänge mit Wolfszähnen Ketten von Bratwürsten, Dauerwürsten und Zervelatwürsten symmetrisch herab und glichen Schnüren und Quasten reicher Wandbehänge, während dahinter Fettnetzstücke ihre Spitze, ihren Untergrund weißer und fleischiger Stickerei setzten, und dort auf dem letzten Aufsatz dieser Kapelle des Bauches wurde zwischen zwei Sträußen purpurner Gladiolen und inmitten der Fettnetzstücke der Prozessionsaltar gekrönt durch ein viereckiges, mit Muscheln verziertes Aquarium, in dem ständig zwei Goldfische schwammen.
    Florent überrieselte ein Schauer; und in der Sonne erblickte er auf der Schwelle des Ladens eine Frau. Sie brachte eine Glückseligkeit mehr, eine handfeste und glückliche Fülle in all diese fette Fröhlichkeit. Es war eine schöne Frau. Sie nahm die Breite der Tür ein, war vollbusig in der Reife ihrer dreißig Jahre, jedoch keineswegs zu dick. Sie war soeben aufgestanden, und ihre glatten anliegenden, gleichsam gelackten Haare gingen ihr in schmalen, flachen Streifen über die Schläfen. Dadurch wirkte sie sehr eigen. Ihr friedliches Fleisch hatte jene weiße Durchsichtigkeit, jene feine rosige Haut von Menschen, die ihr Leben zwischen Fett und rohem Fleisch zu verbringen pflegen. Sie war sehr ernst, sehr ruhig und behäbig, hatte einen heiteren Blick und strenge Lippen. Ihr gestärkter, eng den Hals umschließender Leinenkragen, ihre weißen Ärmel, die ihr bis zu den Ellbogen reichten, und ihre weiße, die Schuhspitzen verbergende Schürze ließen nur Stückchen ihres schwarzen Kaschmirkleides sehen, die runden Schultern, die volle Büste, deren Korsett den Stoff aufs Äußerste spannte. In all dem Weiß brannte die Sonne. Aber obwohl sie mit dem blauschimmernden Haar, der rosigen Haut, dem strahlenden Glanz der Ärmel und der Schürze von Helligkeit durchtränkt war, blinzelte sie nicht, sondern nahm in seliger Gelassenheit mit sanften Augen und den überquellenden Markthallen zulachend ihr morgendliches Lichtbad. Sie erweckte den Anschein großer Ehrbarkeit.
    »Das ist die Frau Ihres Bruders, Ihre Schwägerin Lisa«, meinte Gavard zu Florent. Er hatte sie mit einem leichten Nicken des Kopfes begrüßt. Dann ging er, weiterhin die peinlichsten Vorsichtsmaßregeln beobachtend, in den Hausflur, weil er nicht wollte, daß Florent durch den Laden eintrat, der allerdings leer war. Er war offenbar geradezu beglückt, sich in ein Abenteuer zu begeben, das er für gefährlich hielt. »Warten Sie«, sagte er. »Ich will sehen, ob Ihr Bruder allein ist … Kommen Sie erst herein, wenn ich in die Hände klatsche.« Er stieß hinten im Flur eine Tür auf.
    Als Florent aber hinter dieser Tür die Stimme seines Bruders vernahm, stürzte er mit einem Satz hinein. Quenu, der ihn geradezu anbetete, warf sich an seinen Hals. Wie Kinder umarmten sie sich.
    »Donnerwetter! Du bist es!« stammelte Quenu. »Das hätte ich mir nicht träumen lassen, nein! Ich habe dich für tot gehalten! Noch gestern habe ich zu Lisa gesagt: ›Der arme Florent …‹« Er hielt inne und rief, den Kopf in den Laden steckend: »He! Lisa! Lisa!« Dann, zu einem kleinen Mädchen gewandt, das sich in eine Ecke geflüchtet hatte: »Pauline, geh doch und hol deine Mutter.«
    Aber die Kleine rührte sich nicht. Es war ein prächtiges Kind von

Weitere Kostenlose Bücher