Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
sich totgearbeitet, damit ihr Sohn Jura studieren konnte. Zu dem kleinen Handel mit Bändern, der wenig einbrachte, hatte sie noch andere Arbeiten übernehmen müssen, die sie bis spät in die Nacht festhielten. Die fixe Idee, ihren Sohn als gutgestellten Advokaten in der Stadt zu sehen, machte sie schließlich hart und geizig und unerbittlich gegen sich selbst und andere. Der kleine Quenu lief in zerrissenen Hosen und Kitteln mit ausgefransten Ärmeln herum; niemals nahm er sich selber etwas vom Tisch, sondern wartete, bis ihm die Mutter sein Stück Brot abschnitt. Sie schnitt sich selber ganz genauso dünne Scheiben zu. Dieser Lebensweise war sie erlegen in der ungeheuren Verzweiflung, ihre Aufgabe nicht erfüllt zu haben.
    Diese Erzählung machte auf Florents zartes Gemüt einen schrecklichen Eindruck. Tränen erstickten ihn. Er schloß den Bruder in seine Arme, preßte ihn an sich, küßte ihn, um ihm die Liebe wiederzugeben, die er ihm geraubt hatte. Und er betrachtete die armen geplatzten Schuhe, die durchgescheuerten Ellbogen, die schmutzigen Hände, dieses ganze Elend eines ausgesetzten Kindes. Er sagte ihm immer wieder, daß er ihn mitnehmen würde, daß er es gut bei ihm haben solle. Als er am nächsten Tag die Lage überprüfte, bekam er Angst, nicht einmal die zur Rückreise nach Paris erforderliche Summe zu behalten. Um keinen Preis wollte er in Le Vigan bleiben. Er wurde den kleinen Bänderladen glücklich los. Und das ermöglichte ihm, die Schulden zu bezahlen, die zu machen seine in Geldfragen so genaue Mutter sich nach und nach hatte hinreißen lassen. Und da ihm nichts blieb, bot ihm der Möbelhändler, der Nachbar, fünfhundert Francs für den Hausrat und die Wäsche der Verstorbenen. Er machte ein gutes Geschäft. Der junge Mann dankte ihm mit Tränen in den Augen. Dann kleidete er seinen kleinen Bruder neu ein und nahm ihn am gleichen Abend mit.
    In Paris konnte von einer Fortsetzung des Jurastudiums keine Rede mehr sein. Allen Ehrgeiz verschob Florent auf später. Er fand Gelegenheit, ein paar Stunden zu geben, und richtete sich mit Quenu in der Rue RoyerCollard an der Ecke der Rue SaintJacques in einer großen Stube ein, die er mit zwei eisernen Betten, einem Schrank, einem Tisch und vier Stühlen möblierte. Von nun an hatte er ein Kind. Seine Vaterschaft entzückte ihn. In der ersten Zeit versuchte er, am Abend, wenn er nach Hause kam, dem Kleinen Unterricht zu geben, aber der hörte kaum zu. Er hatte einen harten Schädel, weigerte sich zu lernen und sehnte sich schluchzend nach der Zeit zurück, da ihn seine Mutter auf den Straßen herumlaufen ließ. Verzweifelt brach Florent den Unterricht ab, tröstete ihn und versprach ihm immerwährende Ferien. Und um seine Schwäche vor sich selber zu entschuldigen, sagte er sich, daß er das liebe Kind nicht zu sich genommen habe, um es zu ärgern. Es wurde zur Richtschnur seines Verhaltens, zuzusehen, wie er in Freude aufwuchs. Er betete ihn an, war von seinem Lachen entzückt und genoß die unendliche Süßigkeit, ihn gesund und völlig sorglos um sich zu haben. Florent blieb in seiner abgetragenen schwarzen Kleidung hager und schmächtig, und bei den Verdrießlichkeiten des Stundengebens begann sein Gesicht gelb zu werden. Quenu wurde ein kleiner kugelrunder gutmütiger Kerl, der ein bißchen beschränkt war und kaum lesen und schreiben konnte, aber über eine unverwüstliche gute Laune verfügte und mit seinem Frohsinn die große dunkle Stube in der Rue RoyerCollard erfüllte.
    Indessen vergingen die Jahre. Florent, der die Aufopferungsfähigkeit der Mutter geerbt hatte, behielt Quenu wie eine große erwachsene arbeitsscheue Tochter bei sich. Er ließ ihn nicht einmal die kleinsten Haushaltsbesorgungen verrichten; er war derjenige, der einkaufen ging, den Haushalt und die Küche besorgte. Das lenke ihn von seinen griesgrämigen Gedanken ab, sagte er. Gewöhnlich war er finster und hielt sich für schlecht. Wenn er am Abend schmutzbespritzt und vom Widerwillen der fremden Kinder gedemütigt nach Hause kam, war er ganz gerührt über die Umarmung des großen dicken Jungen, den er auf dem Fliesenfußboden der Stube Kreisel spielend antraf. Quenu lachte über die Ungeschicklichkeit seines Bruders beim Eierkuchenbacken oder über den Ernst, mit dem er die Gemüsesuppe zubereitete. Wenn dann die Lampe ausgelöscht war, wurde Florent manchmal traurig in seinem Bett. Er dachte daran, sein Jurastudium wiederaufzunehmen, und zerbrach sich den Kopf, seine

Weitere Kostenlose Bücher