Der Baum des Lebens
dem Herrn. Uns geht das gar nichts an.«
»Ergreift diesen Lump!«, befahl der Beamte jetzt noch einmal seinen vier bewaffneten Wachleuten.
Da ergriff Iker die Flucht. Und weil er sich in der Gegend besser auskannte, hatte er eine echte Chance, ihnen zu entkommen.
Mit Unterstützung des langen Kerls, der seinen lästigen Widersacher nur zu gern losgeworden wäre, durchsuchten die Wachleute Hütten, Schilflauben und Ställe, liefen über die Felder und krochen durchs Gebüsch.
Aber der Flüchtige blieb verschwunden.
»Der kommt nicht weit«, prophezeite der Steuereinnehmer.
»Wenn er nicht die Provinz verlässt«, berichtigte ihn der Großbauer.
»Dir dürfte es ja wohl nichts ausmachen, wenn du etwas warten musst!«
»Und was ist mit dem hier?«, fragte der Bauer spöttisch und wedelte mit dem Papyrus. »Was hast du damit vor?«
»Du kannst doch gar nicht lesen!«
»Genug, um zu sehen, dass du ein richtiger Dieb bist. Und meine Leute lassen mich ganz sicher nicht im Stich.«
»Schon gut, schon gut… Meinetwegen vergessen wir die Geschichte. Es handelt sich hier lediglich um einen kleinen Schreibfehler, den ich sofort berichtigen werde.«
»Dann vergessen wir aber auch die unberechtigte Steuererhöhung!«
»Hast du ein Glück, dass ich ein verständnisvoller Mensch bin. Aber verlange nicht zu viel von mir!«
In der Hoffnung auf weitere Spuren oder Hinweise hatten die Wachleute beschlossen, die Umgebung des Gutshofs noch zwei Tage lang zu durchsuchen.
Kleine Blume kam nach Hause und dachte an den schönen jungen Mann mit der hohen Stirn und den leuchtend grünen Augen, der ihr entwischt war. In ihrem Herzen brannte noch immer ein Feuer, dessen Inbrunst ihr missfiel. Aber sie war sich sicher, dass es ihr bald gelingen würde, dieses Feuer zu löschen. Im Gegensatz zu den anderen jungen Männern, die ihr den Hof machten, hatte Iker das Zeug zu einem Herrn. Als seine Frau hätte sie ihn dazu gebracht, mehr Land dazuzukaufen, ihren Besitz zu vergrößern und weitere Arbeitskräfte einzustellen. Gemeinsam wären sie unglaublich erfolgreich gewesen.
Doch leider war ihr Liebling nur ein Verbrecher auf der Flucht.
Kleine Blume ging in ihr Zimmer und schloss die Tür. Niemand, nicht einmal ihr Vater, durfte dieses Zimmer betreten. In großen Körben bewahrte sie sorgfältig ihre vielen Kleider, Perücken und Mäntel auf. Ein Großteil des erwirtschafteten Einkommens ging nämlich für ihre Ausstattung drauf. Und in ihrem Badezimmer standen zwei Alabasterkästchen, die bis zum Rand mit ihren Kosmetika gefüllt waren.
Als sie Iker entdeckte, hätte sie beinahe aufgeschrien.
»Iker! Was machst du denn hier?«
»Ist das nicht ein gutes Versteck?«
»Die Wachleute suchen nach dir. Sie…«
»Ich habe aber nichts verbrochen, ganz im Gegenteil.«
»Gegen einen Steuereinnehmer kann man sich nicht auflehnen.«
»Das kann man sehr wohl! Wir haben den Beweis für seine Unterschlagungen, und dafür wird er bestraft werden.«
»So einfach geht das aber nicht, Iker.«
»Ruf deinen Vater, dann besprechen wir unser Vorgehen. Ich mache den Hauptzeugen.«
»Ich sage doch: So einfach geht das nicht.«
»Kannst du das bitte etwas deutlicher erklären, Kleine Blume?«
»Alles ist möglich, aber nur unter der Bedingung, dass du mich heiratest.«
»Ich bin ein schlechter Lügner, das hast du selbst gesagt. Und ich bin nicht in dich verliebt.«
»Was macht das schon? Viel wichtiger ist, dass wir ein schönes Paar abgeben würden und sehr reich werden könnten.«
»Mit so einer Entscheidung würden wir nur Unglück auf uns ziehen, da bin ich mir ganz sicher.«
»Ist deine Absage unwiderruflich?«, fragte ihn Kleine Blume.
»Ja.«
»Du weißt überhaupt nicht, was du damit aufs Spiel setzt.«
»Nimm es mir bitte nicht übel, aber ich habe andere Vorstellungen.«
»Du meinst wohl diese Priesterin, in die du dich so kopflos verliebt hast!«
»Ich will, dass dieser Steuereinnehmer verurteilt wird. Ohne Gerechtigkeit wird unsere Welt unerträglich. Holst du jetzt deinen Vater?«
Kleine Blume überlegte kurz und sagte dann: »Einverstanden.«
Iker küsste sie behutsam auf die Stirn. »Danach wird es kein Steuerbeamter mehr wagen, euch zu betrügen, das verspreche ich dir.«
Iker musste nicht lange warten.
»Du kannst jetzt kommen, Iker!«, rief Kleine Blume.
Als er ihr Zimmer verließ, stürzten sich drei Wachleute auf ihn und banden ihm die Hände auf den Rücken.
Kleine Blume flüchtete sich in
Weitere Kostenlose Bücher