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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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dem Staub gemacht.
    Fragen zu stellen, führte zu nichts, also versank Iker in Schweigen. Er musste hier weg, um seine Suche fortzusetzen, aber wohin sollte er gehen? Außerdem würde es noch lange dauern, bis er seine Schuld beglichen hätte.
    Der einzige Lichtblick in seiner Verzweiflung blieb das Ritual, das in Gegenwart des Pharaos zelebriert worden war. Iker hätte nie gedacht, dass er eines Tages dem König begegnen würde, und hatte es kaum gewagt, ihn anzusehen. Den anderen war es ähnlich ergangen.
    »Wenn du nichts isst, wirst du bald verkümmern«, flötete Kleine Blume.
    »Und wenn schon!«
    »Du bist noch so jung, Iker, und hast so viele Vorzüge! Warum findest du dich nicht einfach mit der Lage ab, überzeugst meinen Vater und wirst sein Nachfolger?«
    »Weil es zu viele offene Fragen gibt«, gab ihr Iker zur Antwort.
    »Vergiss sie einfach!«
    »Das kann ich nicht.«
    »Du machst dir das Leben nur unnötig schwer, da bin ich mir ganz sicher«, sagte Kleine Blume.
    »Das Ritual, das am Dreschplatz zelebriert wurde, ist nicht gerade einfach gewesen.«
    »Das sind althergebrachte ländliche Bräuche, deshalb musst du dir nicht den Kopf zerbrechen.«
    »Weißt du auch, warum der Pharao dieses Mysterium mit seiner Anwesenheit geehrt hat?«, fragte Iker.
    »Weil er sich persönlich davon überzeugen wollte, dass er auf die Unterstützung des Fürsten unserer Provinz rechnen kann! Wie du selbst gesagt hast, ist unser König kein Schwächling, der es sich gefallen ließe, die Macht zu teilen. Und schon bald wird er die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Machthabern suchen, die sich ihm nicht unterwerfen wollen. Damit haben wir aber zum Glück nichts zu tun. Mach dich frei von deiner Vergangenheit, Iker, und denke lieber an deine Zukunft. Hier bin ich – ich bin kein Hirngespinst. Und dieses Landgut, die Felder und die Kornspeicher sind auch wirklich. Das alles könnte dir gehören, du musst es nur wollen.«
    »Hast du vergessen, dass dir dein Vater verboten hat, mich zu treffen?«, fragte Iker.
    Kleine Blume lächelte sanft. »Seit du dazu erwählt wurdest, das neugeborene Kalb zu halten – das Symbol der aufgehenden Sonne –, ist alles anders. Kein Mensch hier würde es jetzt noch wagen, auch nur die kleinste Kritik an dir zu üben. Wenn du willst, können wir diese Nacht gemeinsam verbringen.«
    Vielleicht war sie ein bisschen zu sehr geschminkt, aber noch nie hatte Iker Kleine Blume so bezaubernd gefunden.
    »Ich muss darüber nachdenken«, wich er aus.
    »Könntest du das nicht vielleicht… hinterher machen?«, fragte sie ihn.
    »Das würdest du mir übel nehmen, Kleine Blume, und ganz zu Recht! Deine Worte haben mich berührt, ich gebe es zu, aber ich muss wirklich erst einmal darüber nachdenken.«
     
     
    Mürrisch wie üblich rief der Herr Iker zu sich.
    »Der Viehhirte ist krank. Bring die Ochsen zum Kanal, damit sie saufen und baden können.«
    Auf dem Hof wurde das Festmahl vorbereitet, mit dem die Erntezeit zu Ende ging. Überall auf dem Land wurde jetzt groß gefeiert, danach gönnten sich alle einige Tage Ruhe. War dieses friedliche Glück etwa nicht das Werk von Sesostris, der die Provinz nach dem feierlichen Ritual im Landestempel inzwischen wieder verlassen hatte?
    Zu dem Ausflug an den Kanal ließen sich die Ochsen nicht lange überreden, sondern schlugen von allein den richtigen Weg ein. Iker musste sie nur begleiten.
    Am liebsten gingen sie zu einer Stelle, an der große alte Weiden standen, die angenehmen Schatten spendeten. Ein Ochse nach dem anderen stieg gemächlich die Böschung hinunter und trank mit sichtlichem Vergnügen Wasser aus dem Kanal.
    Iker setzte sich auf die Böschung. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil er sich vorzustellen versuchte, wie ein friedliches Leben an der Seite von Kleine Blume aussehen würde. Aber was ihn da erwartete – er, der gute Familienvater und vorbildliche Landwirt, sie, die zärtliche Gattin und liebevolle Mutter, gute Ernten, gesunde Tiere, reichlich gefüllte Speicher –, erfüllte ihn einfach nicht mit Freude.
    Iker durfte sich nicht selbst belügen: Die Prüfungen, die er durchgemacht hatte, ließen sich nicht auslöschen. Ihre Bedeutung zu entschlüsseln, war und blieb sein wichtigstes Ziel.
    Plötzlich wehte ein seltsamer Wind, der aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig zu kommen schien.
    Die Ochsen standen wie versteinert.
    Und dann sah Iker sie: Eine blendend schöne Frau mit goldenem Haar und ebenmäßigem Teint

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