Der Baum des Lebens
die Arme ihres Vaters und sah weg.
»Für mich ist die Sache erledigt«, sagte der Großbauer. »Meine Tochter hat recht getan, dass sie den Männern sagte, du versteckst dich bei ihr und bedrohst sie. Schließlich bist du weiter nichts als ein hoch verschuldeter, unverschämter Streuner und verdienst eine Bestrafung, für die dich keiner bedauern wird.«
»Mach’s gut, Kleine Blume«, sagte Iker, »jetzt schulde ich dir nichts mehr.«
17
Iker wurde zu einer Strafe ohne Bewährung verurteilt: ein Jahr Zwangsarbeit wegen Beleidigung eines Würdenträgers in Ausübung seiner Amtsgeschäfte, tätlicher Angriffe auf die Wachleute und versuchter Flucht.
Mit seinen Erklärungen konnte sich Iker vor Gericht nicht durchsetzen. Die belastenden Aussagen des Steuereinnehmers, der Schreiber, des Gutsherrn, seiner Tochter und dem langen Vorarbeiter hatten die Richter überzeugt.
Auf dem langen Weg in die Kupferminen auf dem Sinai wurde Iker anständig behandelt. Er bekam immer genug zu essen und zu trinken und hatte das Mitgefühl der Wachmannschaften, die ihm über die schlimme Strafe, die ihn erwartete, nichts vormachten.
»Sei froh, dass du jung und gesund bist«, sagte ihr Anführer zu Iker. »Ein kranker oder alter Körper hält das kein Jahr durch.«
»Aber ich habe nichts verbrochen!«, wiederholte Iker. »Ich habe nur einen bestechlichen und gierigen Steuereintreiber enttarnt.«
»Ja ja, das wissen wir, mein Junge. Wir führen lediglich unsere Befehle aus. Wenn wir dich in diese Wüste fliehen lassen würden, bekämen wir großen Ärger. Außerdem hättest du keine Möglichkeit zu entkommen. Besser du dienst deine Strafe ab, auch wenn du unschuldig bist.«
Der Gefangenentransport stand unter dem besonderen Schutz des Gottes Sopdu, »dem mit den spitzen Zähnen«, einem Falken mit scharfem Schnabel, der über die glühend heiße Einsamkeit der Östlichen Wüste herrscht. Verborgen in einem heiligen Stein in Form eines Dreiecks und dargestellt als Lichtstrahl, der vom Himmel kommt, bewahrte dieser Gott seine Getreuen vor den Überfällen der Sandläufer – gesetzlosen Banditen, die an nichts glaubten, die Karawanen ausraubten und die Händler ermordeten.
Iker war fasziniert von der Wüste und vergaß bald den Hof und seine langweiligen Bewohner. So losgelöst von allem, erschien ihm immer wieder das Gesicht der schönen Priesterin. Wenn sie die Augen aufschlug und ihn ansah, verlieh sie ihm so viel Kraft, dass er meinte, Berge versetzen zu können, und keinerlei Erschöpfung spürte! Sobald sie aber verschwand, fühlte er sich leer, niedergeschlagen und fast zu schwach, um weiterzugehen. Sein Wunsch, sie wiederzusehen, war jedoch so groß, dass er neue Hoffnung schöpfte. Ja – er würde dieses neue Hindernis überwinden und sich dann auf die Suche nach dieser unerreichbaren Frau machen.
In Timna, dreißig Kilometer nördlich von Eilat (Edom), befanden sich auf einer Wüstenhochebene inmitten steiler Felshänge die Kupferminen, die seit der Zeit der ersten Dynastien ausgebeutet wurden. Eselskarawanen versorgten die Minenarbeiter regelmäßig mit Lebensmitteln, Kleidung und Werkzeug. Wegen der unverhältnismäßig harten Arbeitsbedingungen wurden die Facharbeiter häufig ausgewechselt. Was die Zwangsarbeiter betraf, mussten sie sich entweder anpassen oder sterben. Einige Schwerverbrecher, die von besonderen Wachleuten beaufsichtigt wurden, hatten keine Gelegenheit zu faulenzen. Sie mussten die Tunnels und Stollen graben und befestigen, um den Fachkräften ihre Arbeit zu erleichtern.
Alle Gebäude – Häuser, Lager und Gefängnis – waren aus Lehm gebaut. Das einzige Gebäude aus Quadersteinen war der Tempel für Min, den Herrn des Lebens, den Schutzherrn der Steinbruch- und Minenarbeiter, den Urheber von Donner und Gewitter, mit dem er die Zisternen füllte. Ihm verdankten die Arbeiter, die das Kupfer aus dem Bauch der Berge holen mussten, dass sie immer genug Wasser hatten.
Als der Zug bei den Minen eintraf, machte der Bergwerksleiter ein erstauntes Gesicht.
»Wo sind denn die Sträflinge?«
»Wir bringen nur einen«, antwortete der Führer des Gefangenentransports. »Diesen Jungen hier.«
»Das soll wohl ein Witz sein?«
»Für ihn jedenfalls nicht.«
»Was hat er denn verbrochen?«, wollte der andere wissen.
»Er hat die Bestechlichkeit eines Steuereintreibers aus dem Schlangengau ans Tageslicht gebracht.«
»Aber… aber das ist doch kein Vergehen!«
»Ein Gutsherr, seine Tochter
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