Der Baum des Lebens
einsperren kann.«
»Für dich ist er eine Gottheit, dein Prophet!«
»Er besitzt die Kräfte der Wüstengeister und weiß bestimmt, wie er sie einsetzen kann.«
»Das ist doch nur dummes Geschwätz… Wir sind jedenfalls frei, lebendig und bereit, ein paar Ägypter auszuplündern.«
»Lass uns bis zum Neumond hier bleiben«, schlug Shab der Krumme vor. »Wenn der Prophet bis dahin nicht aufgetaucht ist, können wir verschwinden.«
»Meinetwegen«, sagte Schiefmaul. »Dann essen wir jetzt eben erst mal gut, bis wir was zu trinken kriegen. Auf den Bauernhöfen hier in der Gegend muss es reichlich Vorräte an Wein und Bier geben. Um die Mädchen kümmern wir uns dann später.«
In einer Zelle mit nacktem Boden befanden sich etwa zehn Männer, die außer dem Propheten alle völlig entkräftet waren. Versteckt in einer Falte seines Gewands, hielt die Königin der Türkise alles Übel von ihm fern. Kaum hatte man ihn in dieses übel riechende Loch geworfen, als sich auch schon ein Lichtblick für ihn zeigte, weil ihm einer der Gefangenen wie ein Zwillingsbruder glich. Er war beinahe genauso groß wie er, hatte ein hageres Gesicht und die gleiche Haltung. Nur sein Bart musste noch ein paar Tage wachsen. Und dieser Aufschub wurde dem Propheten bestimmt gewährt, weil die ägyptischen Soldaten erst die Stadtbewohner gründlich verhörten, ehe sie sich mit den Hirten befassten, die sie im Hinterland aufgegriffen und hier versammelt hatten.
»Ihr wisst nicht, wer ich bin«, sagte er zu ihnen, »aber ich kenne euch.«
Fragende Blicke richteten sich auf ihn.
»Ihr seid mutige Arbeiter, die von einem Besatzer ausgebeutet werden, der so grausam ist, dass ihr den Kampf aufgegeben habt. Ich bin gekommen, um euch zu helfen.«
»Glaubst du vielleicht, du kannst die Mauern von diesem Gefängnis einreißen?«, fragte der Besitzer einer Schafherde spöttisch.
»Ja, das kann ich, aber nicht so, wie du denkst.«
»Wie denn dann?«
»Habt ihr schon einmal von dem Propheten gehört?«
Ein einziger Hirte meldete sich zu Wort. »Ist das nicht ein Magier, der mit den Geistern der Wüste verbündet ist?«
»Ja, das stimmt.«
»Warum sollte der kommen, um uns zu befreien?«
»Er wird gar nicht kommen.«
»Dann redest du also nur dummes Zeug!«
»Er wird nicht kommen, weil er schon hier ist.«
Und der Prophet legte seinem einfältigen Doppelgänger die Hand auf die Schulter.
»Hier ist euer Retter.«
»Der da? Aber der kann ja kaum reden!«
»Weil ihr ihn noch nicht erkannt habt – und das war ein großer Fehler. Es dauert höchstens noch eine Woche, dann ist er bereit, eure Feinde zu besiegen und uns alle zu befreien.«
Die Schäfer zuckten mit den Schultern und verzogen sich wieder jeder in seine Ecke. Aber der Prophet machte sich nun daran, seinen Doppelgänger zu unterweisen, indem er ihm beibrachte, einige einfache Sätze zu wiederholen, die die Einwohner von Sichern schon einige hundert Mal gehört hatten. Der Einfaltspinsel war sehr froh, dass sich jemand um ihn kümmerte und aus diesem beklemmenden Gefängnis befreien wollte, und machte deshalb bereitwillig, was von ihm verlangt wurde.
Eine Woche verging.
Plötzlich wurde die Gefängnistür aufgestoßen.
»Kommt alle raus, ihr werdet jetzt verhört«, befahl ein ägyptischer Wachmann.
»Wir gehorchen aber nur dem Propheten«, sagte einer der Hirten, der sich bereit erklärt hatte, das Spiel mitzuspielen.
Dem Wachmann versagte beinahe die Stimme. »Was hast du da gesagt?«
»Der Prophet ist unser Anführer. Er, und nur er, sagt uns, was wir machen sollen.«
»Und wo ist er, dieser sagenhafte Anführer?«
»Hier, bei uns.«
Die Gefangenen traten zur Seite und machten dem Doppelgänger Platz, dem der Prophet seinen Turban und sein Gewand angezogen hatte.
Der Wachmann richtete die Spitze seines Schwerts auf die Brust des Fremden. »Bist du der Prophet?«
»Ja, der bin ich.«
»Und hast du auch den Aufstand von Sichern angezettelt?«
»Der Herr hat mich dazu auserwählt, die Unterdrücker unseres Volkes zu beseitigen, und ich werde es zum Sieg führen.«
»Das werden wir ja sehen! Jetzt führen wir dich erst mal General Nesmontu vor, Bursche.«
»Keinem Feind wird es gelingen, mich zu besiegen, weil ich mit den Geistern der Wüste verbündet bin.«
»Fesselt ihn«, befahl der Wachmann seinen Leuten.
Da trat der echte Prophet zu ihm. »Wir anderen sind nur einfache Hirten«, sagte er leise, »und wissen überhaupt nicht, was hier los ist.
Weitere Kostenlose Bücher