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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Unsere Tiere warten auf uns. Wenn wir nicht bald zu ihnen zurück dürfen, gehen sie uns alle ein.«
    Der Wachmann war selbst Sohn von einem Bauern und empfänglich für diese Worte. »Schon gut, jetzt werdet ihr erst einmal vernommen. Dann sehen wir weiter.«
    Ganz nach Plan behaupteten alle Schäfer einmütig, dass sie vollkommen unschuldig seien. Und einer nach dem anderen wurden sie freigelassen. Die Ordnungshüter waren viel zu froh über ihren großen Fang, als dass sie sich lange mit den kleinen Fischen abgeben wollten.
     
     
    Argwöhnisch musterte General Nesmontu den verdächtigen Mann mit seinem Turban.
    »Du bist also der Aufrührer, der das Gemetzel an der ägyptischen Garnison von Sichern angeordnet hat?«
    »Ich bin der Prophet. Der Herr hat mich dazu auserwählt, die Unterdrücker unseres Volkes zu beseitigen…«
    »… und du wirst sie zum Sieg führen, ich weiß. Das wiederholst du jetzt bereits zum zwanzigsten Mal. Aber wer steckt dahinter?«
    »Der Herr hat mich dazu auserwählt…«
    Der General schlug seinem Gefangenen ins Gesicht. »Manchmal bedaure ich es, dass uns der Pharao untersagt hat zu foltern. Ich stelle eine einfache Frage und verlange eine einfache Antwort: Handelst du allein oder hast du einen, der dir sagt, was du tun sollst?«
    »Der Herr hat mich dazu auserwählt…«
    »Genug! Bringt ihn weg und verhört ihn weiter. Wenn er genug Durst hat, wird er vielleicht endlich reden.«
    Wegen der Anweisungen, die ihm der Prophet gegeben hatte, war der Dummkopf davon überzeugt, er könne den Ägyptern die Stirn bieten. Keinem gelang es, etwas anderes aus ihm herauszubringen als diese Sätze, die er unerschütterlich wiederholte.
    »Wir haben doch genug gegen diesen wahnsinnigen Verbrecher in der Hand«, meinte der Stellvertreter des Generals.
    »Ich glaube, wir brauchen noch eine letzte Bestätigung: Führt ihn durch die Straßen der Stadt.«
    Anfangs dachten die Männer, die den Auftrag ausführten, der Gefangene wäre weiter nichts als ein Hochstapler, weil ihn niemand zu erkennen schien.
    Doch dann schrie plötzlich eine Frau: »Er ist es, ich erkenne ihn wieder!«
    Und ein alter Mann ging sogar noch weiter: »Der Prophet ist zurückgekommen!«, rief er aus.
    Und wenige Augenblicke später gab es einen Auflauf. Die Wachleute bahnten sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge und brachten ihren Gefangenen zurück in die Kaserne.
    »Es besteht kein Zweifel, General«, erklärte ein Offizier. »Dieser Verrückte ist tatsächlich der Prophet. Wenn wir keinen neuen Ärger wollen, sollten wir seine Leiche so schnell wie möglich dem Volk zeigen.«
    »Gebt ihm Gift«, befahl Nesmontu.
    Und während der General einen ausführlichen Bericht an den Pharao schrieb, starb der Einfältige vollkommen unbesorgt. Hatte ihm der Prophet etwa nicht versprochen, dass er in einen prachtvollen Palast mit freundlichen Wesen gelangen würde, die all seine Wünsche erfüllten, während ihm Mundschenke die köstlichsten Weine auftischten?

 
36
     
     
     
    Iker war außerhalb des Unterrichts so gut wie nie mit seinen Mitschülern zusammen und widmete sich ausschließlich seiner Arbeit. Abends begnügte er sich mit einer Linsensuppe, gekochten Saubohnen, verfeinert mit Zwiebeln, und einem Kanten Brot mit Knoblauch, ehe er mehrere Lampen anzündete, die er mit Rizinusöl gefüllt hatte. Weil dieses Öl nicht teuer war, wurde es bei den ganz armen Leuten als Salbenersatz verwendet, sonst benutzte man es als Brennstoff für Lampen.
    Der angehende Schreiber schrieb immer wieder und wieder die überlieferten Schriften ab, um sie sich einzuprägen, seine Hand zu schulen und eine ebenso schnelle wie gut leserliche Schrift zu bekommen. Wenn er einen Gedanken darstellte, tat er das so lebendig, dass er sich seine vielfältigen Windungen zu Eigen machte. Hieroglyphen waren weit mehr als nur eine Abfolge von Zeichen; sie spiegelten den Schöpfungsakt der Gottheiten wider, um jedem Wort seine gesamte Tragweite zu verleihen.
    Konnte man sein Leben verlängern und farbenprächtig machen, indem man schrieb? Je mehr sein Geist die Zeichen aufnahm und sich in ihnen und mit ihnen verwandelte, umso mehr war Iker davon überzeugt. Er wollte kein einfacher Schreiber für Verwaltungsaufgaben bleiben; er wollte die Geheimnisse dieser Sprache kennen lernen, die die ägyptische Kultur geschaffen hatte.
    Indem er wie ein Besessener arbeitete, vermied Iker es, an sie zu denken. Aber kaum hatte er einen Satz geschrieben, tauchte ihr

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