Der Baum des Lebens
ordnete er sie und gab ihnen eine Nummer: Tafeln mit Lehm, die eine harte Spitze brauchten, Tafeln aus Sykomoren- oder Jujubenholz, die aus mehreren, verdübelten Teilen bestanden; Kalktafeln mit sorgfältig geglätteter Oberfläche.
Seine Mitschüler den ganzen Tag über nicht sehen zu müssen, war ein wahrer Segen. Iker hoffte sehr, dass General Sepi, der nichts von dem an sich hatte, was er sich unter einem Heerführer vorstellte, ihm weiterhin so viel Arbeit wie möglich auftragen würde.
Als es Nacht wurde, begab sich Iker in den Speiseraum und aß überbackene Zucchini und Käse. Die Sinnsprüche von Ptah-Hotep hatten sich ihm so eingeprägt, dass sie ihn weiter wie eine zauberhafte Musik begleiteten und beglückten.
Als er zu seinem Zimmer kam, sah er Licht unter der Tür.
Dabei hatte er keine Lampe brennen lassen! Beunruhigt trat er ein und sah die Verwüstung.
Die Schlafmatte war zerrissen, der Schurz in Fetzen, der Wäschekorb in tausend Stücken, die Waschsachen kurz und klein geschlagen, die Sandalen zerstört und die Wände beschmiert… Iker war verzweifelt und den Tränen nahe, wie sollte er so überleben?
Weil ihm nichts anderes übrig blieb, schlief er schließlich zutiefst unglücklich ein.
Als er am nächsten Morgen bekümmert aufwachte, fragte sich Iker, ob es wirklich nötig war, in einer derart hasserfüllten Umgebung auszuharren, in der er vermutlich noch mit vielen Schlägen unter die Gürtellinie zu rechnen hatte. Was würden seine Mitschüler wohl noch alles aushecken, um ihn zur Aufgabe zu zwingen? Allein gegen den Rest der Welt war eine zu unangenehme Lage, als dass man lange hätte durchhalten können.
Der Schreiberschüler wollte erst noch vor Unterrichtsbeginn das Klassenzimmer fegen und sich dann von General Sepi verabschieden.
Vor der Tür lag ein verschnürtes Bündel.
Sicher wieder so eine Gemeinheit gegen mich, dachte Iker und öffnete es nur sehr zögernd. Zum Vorschein kamen zwei neue Hemden und zwei Schurze, ein Paar Sandalen, Waschsachen und eine ordentliche Schlafmatte… Dieser Tausch war eigentlich zu seinem Vorteil! Hatte etwa einer seiner Feinde Gewissensbisse bekommen? Oder wurde er von einem Gönner unterstützt, der sich nicht zeigen wollte?
Ein ansehnlich gekleideter Iker empfing etwas später seinen Lehrer in einem Klassenzimmer, das so sauber war wie ein jungfräulicher Papyrus.
Seine Kameraden waren verblüfft: Wie war er nur an diese Kleidungsstücke gekommen? Außerdem wirkte er so ausgeglichen, dass man hätte schwören können, ihm wäre kein Schaden zugefügt worden!
»Ich diktiere euch jetzt weitere Leitsprüche von Ptah-Hotep«, sagte General Sepi. »Aus dieser Schule müssen bald mehrere Papyrusrollen mit der vollständigen Fassung dieser wichtigen Schrift herausgehen:
Wer gut zuhört, spricht auch gut.
Der gute Zuhörer ist der Meister des Nützlichen.
Zuhören ist nützlich für den, der zuhört.
Zuhören ist das Allerbeste,
daraus entsteht die vollkommene Liebe.«
Und auf einmal hatte Iker das Gefühl, nicht mehr zu kopieren, sondern zu schreiben. Er begnügte sich nicht mehr damit, bereits ausgesprochene Sätze niederzuschreiben, sondern war an ihrer Bedeutung beteiligt. Durch die Form seiner Schriftzeichen und seine besondere Art zu zeichnen, verlieh er den Gedanken des Weisen eine bisher ungekannte Farbe. Sicher war das nur ein unbedeutender Vorgang; aber der Lehrling spürte dabei zum ersten Mal die Macht der Schrift.
Nach dem Unterricht fegte Iker das Klassenzimmer. Als er hinausging, lief er seinen Mitschülern in die Arme, auf die gerade der kleine Braunhaarige mit den angriffslustigen Augen einredete.
»Hört auf, mir üble Streiche zu spielen«, empfahl ihnen Iker mit fester Stimme. »Noch einmal bleibe ich nicht untätig.«
»Glaubst du etwa, du kannst uns Angst einjagen? Wir sind zehn, und du bist nur einer!«
»Ich verabscheue Gewalt, aber wenn ihr euch weiterhin so gebt, sehe ich mich gezwungen, euch ein anderes Verhalten beizubringen.«
»Das werden wir ja sehen!«
Wütend versuchte der kleine Streithahn, Iker einen Faustschlag zu verpassen.
Ehe er wusste, wie ihm geschah, flog er durch die Luft und landete unsanft auf dem Rücken. Als ihm sein getreuer Stellvertreter zu Hilfe eilen wollte, erlitt er das gleiche Schicksal. Und als sich dann auch der stämmigste Kerl der ganzen Bande geschlagen zu den beiden gesellte, traten die Übrigen einen Schritt zurück.
Ikers Blicken entnahmen sie, dass er noch viel
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