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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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glänzende Kuppel. Dann kam eine Rechtskurve, und die Aussicht war weg. Jetzt endlich fühlte Meer sich müde, so schachmatt gar, dass sie glaubte, sie würde womöglich einschlafen, sobald sie die Augen schloss.
    Am Abend zuvor, nach ihrem denkwürdigen Erlebnis auf der Straße im alten jüdischen Viertel, war sie beinahe wie in Trance zum Hotel zurückmarschiert. Wie konnte das sein, dass eine frei erfundene Geschichte sie so tief bewegte? Ihr war, als hätte sie die Ängste und Befürchtungen jener imaginären Frau geradezu in sich aufgenommen … und all ihre furchtbaren Pflichten dazu. So als wäre ein geliebter Mensch in Gefahr und brauche dringend ihre Hilfe. Meer wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, ihre Gedanken einfach abzuschalten, damit ihr Unterbewusstsein sich nicht noch weitere Geschichten zusammenspinnen konnte.
    Sie hatte gerade in ihrem Abendessen herumgestochert – eine Suppe und einen Salat, beim Zimmerservice bestellt –, da hatte Malachai Samuels angerufen und ihr eröffnet, es werde nicht mehr gegen ihn ermittelt; er treffe am Montag in Wien ein. Da möglicherweise eine Verbindung bestand zwischen der Spieleschatulle und einem Erinnerungswerkzeug, wollte er die Kassette mit eigenen Augen sehen und eventuell bei der am Mittwoch stattfindenden Auktion mitbieten.
    Sie hatte ihm mitgeteilt, sie freue sich für ihn. Ganz gleich, wie dringend die Polizei einen Schuldigen brauchte: Wie konnte die Kripo bloß annehmen, dass Malachai in eine Kindesentführung verwickelt gewesen sei? Er half den Kindern doch! Schon sein ganzes berufliches Leben hindurch!
    Wegen des Jetlags war sie erst weit nach zwei Uhr morgens eingeschlafen, und dann, nach ihrem Gefühl nur Augenblicke später, um sieben Uhr von einem weiteren Anruf geweckt worden. Es war ihr Vater, der ihr mit belegter, kummervoller Stimme von seinem Freund Schmettering berichtete, dessen Zustand sich in der Nacht verschlechtert hatte. Schmetterings Sohn sollte laut Plan bis Mittag eintreffen; er selber, Jeremy, werde bis zum Abend wieder zurück in Wien sein. Leider, so führte er weiter aus, hatte er seinen Wagen dabei und musste daher fahren. Ob das in Ordnung gehe, wollte er wissen, dass sie noch einen Tag auf eigene Faust zurechtkommen musste?
    Sie wollte schon erwidern, sie habe sich inzwischen viel zu sehr ans Alleinsein gewöhnt, verzichtete aber auf die Bemerkung. Stattdessen sagte sie ihm, das sei kein Problem, sie werde schon klarkommen. Es stimmte ja auch, nicht wahr? Zum Beweis bestellte sie Kaffee und Fruchtjoghurt und Saft und aß alles auf, während sie gleichzeitig das vom Hotel zur Verfügung gestellte Stadtmagazin durchblätterte und zu entscheiden versuchte, was sie mit einem kompletten freien Tag anfangen sollte. Um zehn rief wie versprochen Sebastian an, um nachzufragen, ob sie irgendetwas brauchte. Sie verneinte dankend. Er wolle seinen Sohn in der Klinik besuchen, fuhr er fort; ob sie nicht Lust habe, mitzukommen und Nicolas kennenzulernen. Sie wusste zwar, dass sie dem Jungen nicht helfen konnte. Aber Sebastian war seit ihrer Ankunft so nett zu ihr gewesen, da konnte sie schwerlich ablehnen.
    Meer musste wohl eingenickt sein, denn als sie aufwachte, waren sie schon auf dem Parkplatz der Klinik.
    “Wenn der liebe Gott eine Landkarte hat”, sagte Sebastian, “dann ist diese Stelle darauf mit Blut markiert.”
    “Wie soll ich das verstehen?”, fragte Meer, die auf diese beklemmende Bemerkung ganz instinktiv reagierte.
    “Wir befinden uns an einem unseligen Ort. Dass meine Frau hier arbeitete, war schon schlimm genug. Dann überredete sie mich, Nicolas hier in die Kinderkrippe für die Ärztekinder zu schicken und auch am Ferienlager teilnehmen zu lassen. Jetzt ist er hier untergebracht. Ausgerechnet hier.”
    “Die Anlage sieht doch wunderbar gepflegt aus”, meinte Meer. “Was haben Sie denn dagegen?”
    Sebastian schaltete wieder auf Fremdenführer um, allerdings mit belegter Stimme. “Auch hier in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt ‘Am Steinhof’ wurde die 1938 von den Nazis eingeführte Doktrin der Rassenhygiene umgesetzt. Man führte sogenannte Euthanasiemaßnahmen durch, so etwa die ‘Aktion T4’ – die systematische Ermordung von behinderten oder psychisch kranken Menschen, die nach NS-Ideologie als ‘lebensunwert’ angesehen wurden. Die Betreffenden wurden in die Nähe von Linz transportiert und dort vergast. Allein aus dieser Klinik starben dort fast viertausend Menschen.”
    In den Pausen hörte

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