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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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Stoff, doch David fühlte den Druck der scharfen kleinen Fänge gleichwohl. Er ließ das Viech los, ohne groß zu fluchen oder zu schimpfen; im Gegenteil, er musste diesen Kanalbewohnern ja dankbar dafür sein, dass sie sich als Ablenkungsmanöver zur Verfügung stellten. Die Frage war nur, ob am Donnerstagabend, wenn der letzte Ton der Beethoven-Sinfonie verklang, noch einer der unverwüstlichen Nager übrig blieb.

41. KAPITEL
    D ie Tugenden, die wir uns aneignen und die sich allmählich in uns entwickeln, sind die unsichtbaren Glieder, die jede einzelne unserer unterschiedlichen Daseinsformen miteinander verbinden – Existenzen, an die sich allein der Geist erinnert. Denn das Körperliche hat kein Gedächtnis für Spirituelles.
    – Honoré de Balzac –
    Wien, Österreich
    Dienstag, 29. April – 09:20 Uhr
    Die unscheinbare Kirche lag auf der anderen Straßenseite, genau gegenüber dem Reitschultrakt der Hofburg. Die Residenz der Habsburger, ein gewaltiger barocker Gebäudekomplex, ließ das aus dem 14. Jahrhundert stammende Gotteshaus geradezu zwergenhaft erscheinen. Zum Glück war die Schlange sehr kurz; lediglich zehn Besucher warteten auf Einlass in die Krypta, die ihre Pforten um zehn Uhr öffnete.
    Meer und Malachai Samuels, die gemeinsam zu Fuß vom Hotel herüberspaziert waren, gingen an der Schlange vorbei auf Jeremy zu, der mit Sebastian Otto vor dem Eingang stand. Merkwürdig, dass dieser Sebastian fortwährend auftauchte, fand Meer, auch wenn ihr Vater angedeutet hatte, er werde ihn einladen.
    Kaum hatte Jeremy sie entdeckt, winkte er ihnen schon zu. Er hatte eine Privatbesichtigung vor der üblichen Öffnungszeit arrangiert, und da jetzt alle beisammen waren, geleitete er die drei in die Kirche hinein.
    Gewaltige Messingleuchter erhellten den riesigen Chor, das Kirchenschiff und die Gänge sowie auch den schmächtigen Mönch, der sich den Besuchern nun näherte. Jeremy stellte Bruder Franziskus vor und wies darauf hin, dass der Ordensbruder kein Englisch sprach.
    Die vier folgten der Gestalt in der braunen Kutte quer durch das Kirchenschiff zu der kleinen, weißgetünchten Georgskapelle. Das Deckengewölbe war niedriger, der Altar schlichter und schmuckloser. Das helle Gestühl wirkte einladender als die dunklen Kirchenbänke im Mittelschiff. Suchte jemand das Zwiegespräch mit Gott, fiel ihm nach Meers Gefühl das Beten in dieser trauten Umgebung vermutlich leichter.
    Rechts von dem kleinen Altar, aufgemalt auf eine nachgedunkelte Wand, prangte ein gut zwei Meter großes Gerippe, das offenbar zwei mit Kronen und Schwänen geschmückte schmiedeeiserne Gittertüren bewachte – den Zugang zur Loretokapelle. Bruder Franziskus bezog davor Aufstellung und wartete, bis alle sich eingefunden hatten. Als Meer näher trat, spürte sie deutlich einen kalten Hauch. Durch die Gitterstäbe hindurch sah sie zwei Regale mit Reihen von Silberkelchen und Urnen, die im Schein des durch die Fenster fallenden Tageslichts schimmerten. Die Herzgruft.
    Bruder Franziskus steckte einen schwarzen Schlüssel in das Schloss und musste ihn mit einigem Kraftaufwand drehen, so als wolle die Gittertür nur widerwillig jemanden durchlassen. Schließlich bat er alle mit einer einladenden Handbewegung in den Nebenraum, und während sie eintraten, klärte er sie über das auf, was sie da nun zu sehen bekamen.
    Jeremy übersetzte. “Hier sind vierundfünfzig Herzen beigesetzt. Alle aus dem kaiserlichen Geschlecht …”
    Die Urnen strahlten blitzblank; wie gebannt blickte Meer auf die silberhellen Pünktchen, die auf den geschwungenen Formen der Gefäße funkelten. Alles andere in dieser Kapelle wich zurück; nur dieser Urnen wegen war sie hierhergekommen. Ihr Vater hatte zwar gerade gesagt, wie viele hier standen, doch Meer fing dennoch an, sie alle noch einmal zu zählen – ohne recht zu wissen, warum.
    Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht … neun …
    Meer war, als strahle die neunte Urne heller als alle anderen. Den Blick unverwandt auf das Gefäß geheftet, nahm Meer nichts mehr von dem wahr, was ihr Vater erläuterte. Wie kam man näher heran? Warum diese Frage sie beschäftigte und wonach sie eigentlich suchte, das war ihr schleierhaft.
    “Do you speak English?”, fragte sie ihren Fremdenführer – obgleich Jeremy schon darauf hingewiesen hatte, dass dies nicht der Fall war.
    “Englisch?”, wiederholte der Mönch mit schwerfälligem Akzent. “Not good, no.”
    Meer nickte. Sie musste Gewissheit haben.

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