Der Beethoven-Fluch
anscheinend ohne Alternative, führte der schmächtige Gottesmann den Bundespolizisten durchs Kirchenschiff in die Kapelle, vorbei an dem gruseligen, den Krypta-Eingang hütenden Gerippe und dann hinein in die Herzgruft.
Wie viele Wiener, wusste Pertzler herzlich wenig über die Touristenattraktionen seiner Heimatstadt. Was an dieser Kapelle so Besonderes sein sollte, war ihm daher schleierhaft.
“Könnten Sie erklären, Pater, vor was wir hier stehen? Und da Sie schon dabei sind, können Sie gleich kontrollieren, ob etwas fehlt. Lassen Sie sich ruhig Zeit.”
“Diese Gruft gehörte einmal der kaiserlichen Familie. Dort in den Urnen befinden sich sterbliche Überreste des Hauses Habsburg.” Der Mönch verstummte, trat an eines der Regale und griff nach einer bestimmten Urne, die er etwas nach links versetzte und dann wieder einen Daumenbreit zurück.
“Ach, die Urnen enthalten dann wohl die Asche der Verstorbenen?”
“Nein. Ihre Herzen.”
“Die Herzen?”, wiederholte Pertzler, der entgeistert die Gefäße anstarrte. “Wie lange werden die denn dort schon aufbewahrt?”
“Seit Anfang des 17. Jahrhunderts.”
“Und wann wurde das letzte Mal ein Herz hier … äh, bestattet? Sagt man das so?”
“Beigesetzt. Das letzte Herz wurde hier 1878 beigesetzt.”
“Und wie viele sind das insgesamt?”
“Vierundfünfzig.”
Pertzler notierte sich das. Plötzlich fiel ihm etwas ein. “Ist das von Beethoven auch darunter?”
Der Pater guckte zwar verdutzt, antwortete indes umso entschiedener. “Nein. Nur die der kaiserlichen Familie.”
“Aber meine Frage machte Sie stutzig, oder? Wieso?”
“Ich finde es merkwürdig, dass Sie Beethoven erwähnten. Jemand aus der Gruppe von Herrn Logan fragte vorhin nämlich ebenfalls nach ihm.”
“Wer? Welches Mitglied der Gruppe? Wie lautete die Frage genau?”
“Der andere Amerikaner, der wollte wissen, ob es Unterlagen gebe, wonach Beethoven einen besonderen Bezug zu dieser Kirche habe.”
“Und? Hatte er?”
“Jawohl”, betonte der Mönch stolz. “Durch einen von Beethovens engsten Freunden – seinen Schüler und prominentesten Förderer, Erzherzog Rudolf von Österreich, jüngster Sohn von Leopold II., Kaiser von Österreich-Ungarn. Der Erzherzog stellte Beethoven Räumlichkeiten im kaiserlichen Palast zur Verfügung, sowohl zum Üben als auch für Konzerte. Was viele dabei nicht wissen: Der Erzherzog war gleichzeitig Geistlicher, und da diese Kirche auf dem Gelände der Hofburg liegt, gehörte sie automatisch zu den Gotteshäusern, in denen er die Messe las. Beethoven hielt sich recht häufig bei Hofe auf. Und aufgrund dieser Verbindung probte er hier Teile seiner berühmten Messe
Missa Solemnis
bereits zwei Jahre vor der Fertigstellung. Als er das Werk dann im Jahre 1823 vollendete, widmete er es dem Erzherzog Rudolf. Die Partitur versah er mit dem berühmten Motto ‘
Von Herzen – möge es zu Herzen gehen!’
.”
“Herzen, nichts als Herzen, was?”
“Viele”, erwiderte der Mönch schmunzelnd.
“Zurück zu unserer Gruft und den Urnen: Sind Sie sicher, dass nichts fehlt oder verschoben wurde?”
“Es ist alles da, und es ist auch alles noch an Ort und Stelle.”
“Wieso haben Sie denn an dem Gefäß da herumgerückt?”, hakte Pertzler nach.
“Es stand nicht genau an seinem Platz. Ein, zwei Zentimeter daneben.”
“Halten Sie es für möglich, dass jemand aus der Logan-Gruppe es berührt hat?”
“Kann ich mir nicht vorstellen.”
“Könnten Sie das mal überprüfen? Vielleicht auch hineingucken?”
Der Mönch war sichtlich befremdet. “Die mumifizierten Herzen stellen ein Heiligtum dar.”
“Das ist mir klar. Trotzdem – tun Sie mir den Gefallen.”
Pater Franziskus wand sich.
“Es geht nicht anders, Pater.”
Der Mönch bekreuzigte sich, trat wieder an das Regal, hob den Deckel von dem neunten Kelch und spähte hinein.
Pertzler blickte dem Pater über die Schulter. Eine dunkelbraune Masse – ein vermodertes Herz, in seinen Silbersarg geschmiegt. Was hatten Logan und dessen Tochter hier in der Herzgruft gemacht? Pertzler kratzte sich am Kopf. Irgendetwas hatte er wohl übersehen. Nur was?
45. KAPITEL
D ienstag, 29. April – 10:14 Uhr
Als Meer vom Aufzug aus über den langen Krankenhausflur ging, die Zimmernummern dabei ständig im Blick, gab sie sich alle Mühe, nicht in die offenen Krankenzimmer hineinzuschauen. Es lag ihr fern, unbekannten Patienten, die da womöglich schwerkrank in ihren Krankenbetten
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