Der Beethoven-Fluch
der Schlüssel gefunden, so wird er Dich, Stephan, in die Lage versetzen, den Schatz – welcher sich bereits in Deinem Besitz befindet – zu öffnen. Was die Melodie betrifft, so wirst allein Du, Antonie, sie verstehen. Ich habe mit ihr das einzig Mögliche getan: Ich habe sie unserem Herrn und Heiland anvertraut, der unsere Liebe geheiligt und gesegnet hat.”
Meer musste schlucken. Die Worte berührten sie tief.
“Noch ein Hinweis, Antonie, Liebste”
, las Sebastian weiter.
“Solltest Du diesen Brief durch Zufall finden, so lege ihn bitte beiseite und streiche den Inhalt aus Deinem Gedächtnis. Versuche auf keinen Fall, ihn zu entschlüsseln. Begib Dich nicht auf eigene Faust auf Schatzsuche.”
Sebastian ließ den Brief sinken. “Signiert mit Beethovens Initialen.”
Meer nahm den Bogen in die Hand und starrte ihn an. Warum, das wusste sie selber nicht; sie sprach ja überhaupt kein Deutsch. Aber die in einer krakeligen, verschnörkelten Schrift verfassten Zeilen rührten sie tief an. Über die Jahrhunderte hinweg sah sie ihn vor sich, den Mann, der diese Worte geschrieben und sich mit etwas herumgeplagt hatte, das er nicht verstand. Das auch für sie unbegreiflich war – bis auf den heutigen Tag.
Malachai dagegen versuchte bereits, die rätselhaften Angaben zu interpretieren. “Nun, offenbar hat Beethoven das eigentliche Versteck der Flöte in dem Brief ja nicht verraten”, bemerkte er, indem er sich an Sebastian wandte. “Haben Sie eine Ahnung, ob es irgendwelche Hinweise gibt über seinen Tod? Ist er vielleicht unter merkwürdigen Begleitumständen gestorben?”
“Direkte Hinweise gab es damals nicht, nein. Gerüchte, ja, die kursierten schon immer. An neuesten Tests mit Haarproben lässt sich nachweisen, dass Beethoven tatsächlich schwerkrank war. Interessanterweise sieht es aber so aus, als hätten die Medikamente, die er gegen die Krankheit nahm, sein Ableben noch beschleunigt.”
“Demnach wäre also nicht auszuschließen”, grübelte Malachai, “dass die drei gleichlautenden Briefe, die er hinterließ, nie geöffnet wurden. Die Tatsache, dass dieser hier in einem Geheimfach entdeckt wurde, die lässt doch vermuten, dass keiner ihn je gefunden hat. Also könnte man davon ausgehen, dass auch die Flöte unentdeckt geblieben ist.” Er fing wieder mit dem Kartenmischen an, das er während Sebastians Übersetzung vorübergehend eingestellt hatte.
“Der Mönch heute Morgen in der Herzgruft”, warf Meer nun ein, “der hat doch einen Erzherzog Rudolf erwähnt, oder? Das ist doch sicher der Rudolf hier aus dem Brief, nicht wahr?”
“Genau”, bestätigte Sebastian, “der war einer von Beethovens engsten Freunden, das ist ausreichend dokumentiert. Mit Stephan meinte er Stephan von Breuning. Dessen Sohn Gerhard spielte in Beethovens späten Jahren eine bedeutende Rolle und …”
Malachai unterbrach ihn. “Vielleicht findet sich etwas in Beethovens Korrespondenz oder anderen Unterlagen”, regte er an, ganz angetan von seiner Idee. “Wo kriegen wir die her?”
“Hat mein Vater nicht erwähnt, dass er über seinen Computer Zugriff darauf hat?”, fragte Meer.
“Das stimmt”, erwiderte Malachai. “Aber nur auf Auszüge.” An Sebastian gewandt, fragte er: “Wo sind die Briefe momentan? Wir müssen sie sichten, und zwar so schnell wie möglich.” Er stand auf und steckte die Karten zusammen. “Sind sie hier in Wien?”
49. KAPITEL
D ienstag, 29. April – 13:30 Uhr
David verließ die Österreichische Nationalbibliothek, die im gleichen Bezirk der Altstadt lag wie die Herzgruft. Als er die Treppe hinunterging, bemerkte er eine Frau, die ihm von unten entgegenkam. Woran mochte es liegen, dass sie ihm so auffiel? An der Art und Weise, wie die Sonnenstrahlen ihr dunkles Haar goldbraun aufleuchten ließ? Ihre aufrechte Haltung, als sie die Stufen hinaufging? Ihr eindringlicher Blick? Je mehr sie sich näherte, desto stärker fühlte David sich zu ihr hingezogen. Am liebsten wäre er stehen geblieben, um zu ergründen, was so faszinierend an ihr war. Aber er hatte es eilig. Eigentlich durfte er sich tagsüber gar nicht über der Erde aufhalten, wo man ihn entdecken konnte – zumal das Konzert unmittelbar bevorstand.
Als sie an ihm vorbeiging, wandte er den Blick ab, aber sie kam ihm so nah, dass er ihren Duft wahrnahm. Es war zwar nicht dasselbe Parfüm wie jenes, das seine Frau immer aufgelegt hatte. Und doch erinnerte es ihn an sie, an ihre warme Haut, ihre lächelnden
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