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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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gellend um Hilfe, dabei wie von Sinnen mit den Armen fuchtelnd. Ihr Mann versuchte, sie zu beruhigen, aber sie stieß ihn von sich, als hätte sie einen wildfremden Menschen vor sich.
    Greta Osborn, die angegraute Opernsängerin, die auf der anderen Seite des Ganges saß, starrte hinauf zur Kuppeldecke und wies auf etwas, das wohl nur sie sehen konnte. “Es kommt zu schnell!”, kreischte sie aus vollem Halse. “Zu schnell … zu schnell …”
    Stan Miller zwängte sich durch die Sesselreihen, stolperte blindlings über die Beine der Sitzenden. Man schrie ihn an, wehrte ihn ab, konnte ihn aber nicht aufhalten; es war, als würde er von etwas verfolgt, das nur in seiner Vorstellung existierte.
    Auf dem Bühnenboden wälzte sich der Dirigent, die Arme hilflos in die Luft gereckt, als greife er vergebens nach einem Halt. Der erste Geiger hatte seine Violine beim Hals gefasst und klatschte sie sich auf Arme, Brust und ins Gesicht, als wolle er einen Insektenschwarm abwehren, von dem er bei lebendigem Leibe aufgefressen wurde.
    Eine Cellistin saß heulend da, den Kopf in beide Hände gestützt, und schluchzte zum Steinerweichen.
    Buchstäblich festgenagelt auf ihrem Sitz, verfolgte Erika Aldermann hingerissen, wie sich um sie herum das Publikum in voller Auflösung befand. Sie begriff genau, was sich da ringsum abspielte. Sie saß dicht genug bei der Bühne, um Sebastian Otto dort oben im Orchester zu beobachten. Er spielte die Flöte der untergegangenen Erinnerungen, deren Klänge einen Großteil der Konzertbesucher von einem quälenden Gedächtnisschub in den nächsten rissen. Schon wandte Erika sich seitwärts, um Fremont Brecht ihre Beobachtungen mitzuteilen, ihn teilhaben zu lassen an der überwältigenden Erkenntnis, dass ihre Hypothese bezüglich der binauralen Takte hier überall ringsum bestätigt wurde. Aber Brecht war nicht mehr da. In dem ausbrechenden Tohuwabohu hatte sie überhaupt nicht mitbekommen, dass er aufgestanden war. Wohin mochte er gegangen sein? War er etwa ebenfalls betroffen? Eigentlich hätte sie ihn suchen müssen, aber sie durfte diese Vorführung keinesfalls verpassen – diesen schlagenden Beweis für die Richtigkeit ihrer Theorie.
    Und noch ein Konzertbesucher, auch er immun gegen die Flötentöne, betrachtete das Chaos ringsum: Malachai Samuels. Der verstand inzwischen die Welt nicht mehr. Wieso war Sebastian Otto im Besitz der Flöte? Wie hatte er die Melodie gelernt? Hatte Meer die Noten herausbekommen? Wichtiger noch: Wozu das Ganze? Völlig verwirrt von den Vorgängen, studierte er die Menschen im Saal, die von einem Moment auf den anderen aus der Gegenwart in die Vergangenheit versetzt wurden, ohne jede Vorbereitung auf Reise oder Ziel. Schließlich stand er auf. Mochte passieren, was da wollte – er musste zur Stelle sein, wenn das Flötensolo verklang. Er musste die Flöte haben!
    Während er sich nach vorn durchzwängte, bemerkte er einen Gang weiter Meer, die offenbar dasselbe vorhatte wie er. Sie und er waren die einzigen Besucher, die nicht mit der großen Masse den Ausgängen zustrebten.
    Meer nahm die Besucher, die ihr entgegenfluteten, gar nicht wahr; es war vielmehr der Ansturm ihrer eigenen Erinnerungen, der ihr ein schnelleres Vorwärtskommen erschwerte. Verzweifelt bemüht, sich an das Hier und Jetzt zu klammern, spürte sie, wie sich um sie herum die letzten Reste der Gegenwart auflösten, hinweggeschmolzen von den Klängen, die Sebastian der Knochenflöte entlockte.
    Margaux achtete angestrengt darauf, dass ihre Hand nicht zitterte, während sie weiterhin auf den britischen Major zielte. Der allerdings, unbeeindruckt und offenbar fest davon überzeugt, dass sie den Mut zu einem Schuss nie würde aufbringen können, drängte sein Pferd immer dichter an das ihre heran. Schließlich war er nahe genug, dass er nach den Lederriemen greifen konnte, mit denen die Spielekassette am Sattel festgezurrt war.
    “Nicht!”, schrie Margaux, die an den Zügeln riss, um ihr Pferd rückwärts zu zwingen.
    “Sie dumme Gans!”, brüllte Wells, der nun seinerseits eine Pistole zückte. “Begreifen Sie eigentlich nicht, was Sie da angerichtet haben? Und ich, ich muss die Suppe auslöffeln, die Sie uns eingebrockt haben! Ich weiß, dass die Schatulle Hinweise enthält. Rücken Sie sie raus! Dann zahle ich trotzdem noch den vereinbarten Preis. Wenn nicht, werde ich schießen! Also – her damit!”
    Malachai spürte, wie sich im Saal allmählich Panik breitmachte. Gelähmt von Angst,

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