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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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saßen im Schatten der Vorbauten ihrer Häuser, träge ihrem Geschäft nachgehend oder auch einfach dösend, Hunde lagen schlaff an den Hauswänden und wedelten nur gelegentlich die Fliegen fort. Mühsam schleppten sich die schweren Pferde mit ihren Lasten vom Rheinhafen durch die Gassen. Den Männern in den Tretkränen an der Stadtmauer, die an einigen Stellen ausgebessert werden musste, rann der Schweiß von den Gesichtern. Es ging alles langsamer alsgewöhnlich, und je näher Anna der verrufenen Straßen kam, desto übler wurden die Gerüche. Die Buden der Talgmenger verströmten ranzigen Fettgeruch, die Kloaken dünsteten fauligen Brodem aus, die ungegerbten Felle stanken nach Verwesung. Der Haufen, den der Knochensammler auf seinen Karren geladen hatte, nahm ihr fast den Atem. Erleichtert atmete sie auf, als sie ihn hinter sich gelassen hatte und in die Nähe eines Backhauses kam, von dem ein erfreulicher Duft von trockenem Holz und frischem Gebäck wehte. Anna sah hinein. Mehrere Frauen hatten sich dort versammelt, die ihre Laibe zum Backen gebracht hatten und nun darauf warteten, bis die knusprigen, braunen Brote von dem Bäcker aus dem Ofen geholt wurden. Neben dem Tisch, auf dem weitere Laibe zum Abkühlen lagen, stand, in ein Gespräch vertieft, Horsel. Anna wartete darauf, dass sie zu ihr hinsah, ansprechen wollte sie sie hier vor den anderen nicht, denn die ablehnende Geste von vor zwei Tagen war ihr noch zu bewusst. Sie ahnte, warum Horsel sie nicht erkennen wollte. Die vornehme Stiftsdame Anna di Nezza sollte nicht in Verbindung gebracht werden mit der gewöhnlichen Schenkenwirtin. Endlich beendete Horsel ihre Unterhaltung, räumte ihre Brote in den großen Weidenkorb, schwang ihn sich über den Arm und schob sich zum Ausgang durch. Als sie an Anna vorbeikam, fragte sie leise: »Was willst du?«
    »Auskunft!«
    »Komm zur hinteren Pforte.«
    Anna wartete noch einen Moment, dann ging sie um den Häuserblock herum und fand die Pforte im Hof hinter der Schenke angelehnt. Horsel winkte sie in den Hof, schloss das Törchen aber sofort wieder.
    »Was soll das, Anna? Wir beide haben nichts mehr miteinander zu tun!«
    »Ach Horsel, du warst meine Amme, meinst du, ich könnte das vergessen?«
    »Anna di Nezza hatte keine Amme wie mich.« »Anna di Nezza wird es bald nicht mehr geben.« »Wie meinst du das?«
    »Wart es ab. Horsel, hast du meine Magd gesehen? Du weißt schon, Vally, das Mädchen aus dem Alten Graben?«
    »Was sollte deine Magd bei mir zu suchen haben? Oder achtet ihr im Stift so wenig auf die Dienstleute, dass die sich hier herumtreiben?«
    »Sie hat die Spielleute auf dem Alten Markt gesehen, und ich fürchte, sie ist zu ihnen gegangen. Hast du sie gesehen? Die Gaukler kehren angeblich häufig in deiner Schenke ein.«
    »Was weiß ich? Vally war damals ein schmutziger kleiner Bengel. Ob ich sie heute als deine Magd erkennen würde, glaub ich nicht.«
    »Möglich. Gut, aber weißt du, wo die Spielleute, insbesondere der Sänger Julius Cullmann, ihre Unterkunft haben?«
    »Willst du etwa zu denen?«
    »Ja, Horsel. Wo?«
    Die rundgesichtige Amme murrte, aber dann brummelte sie endlich: »Versuch’s im Ipperwald. Der Herbergsvater nimm alles mögliche Gesindel auf.«
    »Danke, Horsel.«
    »Der Dank, den ich gewöhnt bin, klimpert meist in meiner Hand.«
    Anna lachte trocken auf.
    »Ja, du hast die Preise stets gut berechnet. Da, reicht das?«
    »Ist in Ordnung. Und nun verschwinde von hier!« Das Fremdenhospiz Ipperwald lag auf dem Katzenbauch,ganz in der Nähe von Annas früherer Wohnstätte. Doch sie fühlte sich nicht mehr wohl hier, zu lange hatte sie in der verhältnismäßigen Abgeschiedenheit des Stifts gelebt. Sie musste sich ein paar abfällige Bemerkungen anhören, die herumlungernde Gesellen machten, einer griff sogar nach ihrem Rock. Sie schlug ihm kräftig auf die Finger und riss sich los. Das Hospiz hatte im Eingangsbereich einen Schankraum mit rohen Bänken und Tischen. Als sie eintrat, saßen nur zwei Männer dort und spielten versunken Schach miteinander. Erleichtert atmete Anna auf, als sie das grüne Wams und die roten Hosen des Sängers erkannte.
    »Julius Cullmann?«, fragte sie, als sie neben ihm stand.
    Er sah auf, und ein freundliches Lächeln erhellte sein sanftes Gesicht.
    »Kenne ich Euch nicht? Doch, natürlich, die Hüterin der Jungfrau, der ein langes Leben beschieden sein sollte. Ihr trugt eine andere Tracht dort auf dem Alter Markt. Seid Ihr dem keuschen Stift

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