Der Bernsteinring: Roman
Hexe ist sie sicher nicht.«
»Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen kann. Es wäre gut, wenn sich die Nachricht hier im Stift nicht verbreiten würde.«
»Das, Kind, fürchte ich, wird sich nicht vermeiden lassen.«
Und so war es natürlich. Schon in der Abendandacht musste sich Anna gehässiges Getuschel anhören.
»Endlich hat man sie erwischt, die falsche Katze. Zaubertränke soll sie verkauft haben!«
»Wahrscheinlich hat sie mit dieser Gossengöre unter einer Decke gesteckt!«
»Ja, und weil die zu viel wusste, musste sie sterben.«
»Wird schon seine Richtigkeit haben, wenn man sie anklagt. Wisst ihr noch, wie sie unser Essen vergiftet hat!«
»Und diese dünkelhafte Schreibmeisterin hat ihr die ganze Zeit die Stange gehalten.«
»Die wird auch mit darin stecken. Immer zu Besuch im Haus ihres so genannten Wohltäters. Sogar über Nacht ist sie geblieben.«
»Wer weiß, was sie da getrieben haben.«
»Es heißt ja, er sei ihr Geliebter gewesen, damals als seine erste Frau noch lebte.«
»Und dann hat unsere gute Rosa ihn betört. Aber empfangen hat sie nicht von ihm.«
»Habt ihr schon gehört, dass die Rosa sich nachts mit anderen Männern trifft?«
»Männern? Mit dem Teufel selbst wird sie sich treffen, die Buhle!«
»Und die Kleine hat es gewusst. Ja, ja, so wird es gewesen sein.«
»Sie soll vergewaltigt worden sein. Vorher. Bevor sie so entsetzlich zugerichtet worden ist.«
»Und jetzt hat die Anna auch noch durchgesetzt, dass sie hier begraben wird!«
»Das stinkt zum Himmel!«
Nicht alle indes weideten sich an dem Unglück, Valeska hatte auch viele Freundinnen gehabt, und Annas Ruf wurde von Priorin und Äbtissin als untadelig betrachtet. Daher versammelte sich die Mehrzahl der Stiftsbewohnerinnen, Kanonissen, Mägde und Dienstleute, auf dem Lichhof, als Valeska am späten Nachmittag des nächsten Tages in einer stillen Feier beigesetzt wurde. Die beiden jüngsten Mägde, die sich eng mit dem Mädchen angefreundet hatten, standen laut schluchzend an ihrem Grab, und Anna legte, blass und mit unbewegter Miene, eine Hand voll Rosen auf die feuchte Erde.
Danach zog sie sich in das Skriptorium zurück, und aufgewühlt zog sie die Seiten ihres Stundenbuchs hervor, die der Complet gewidmet waren. Es fehlte noch die Szene für die dritte Seite und der Planetenherrscher. Diesen aber entwarf Anna nun mit sicheren Strichen. In seinem Rahmen aus blauen Kornblumen und schwarzgrünen Eibenzweigen erschien Saturnus, der Richter, der Herr über Leben und Tod. Der, den man den großen Unglücksbringer nannte, war es, und er trug das Gesicht von Falkomar, dem Henker.
»Gott der Rache, Herr, Gott der Rache, erscheine! Erhebe dich, Richter der Erde, vergilt den Stolzen ihr Tun!« Einzig der 94. Psalm schien Anna hierfür zu passen.
Ein hässlicher Zwischenfall ereignete sich am späteren Abend. Anna ging über den Hof zu ihrer Wohnung, als aus dem offenen Kammerfenster ein kreischendes,rotes Bündel geflogen kam. Begleitet wurde der Wurf von einem bösen Fluch: »Mistvieh, Teufelsbraten, folg deiner Herrin in die Hölle!«
Anna lief zu der Stelle, wo die Katze hingefallen war. Sie war, wie alle ihre Artgenossen, unverletzt auf ihren vier Pfoten gelandet, schaute sich aber dennoch verdattert um.
»Feli, Feli!«, lockte Anna leise und hielt der Kleinen die Finger hin. Feli erkannte sie, erinnerte sich an einen weichen Schoß und gelegentliche Leckerbissen und schmiegte ihren Kopf in die Hand.
Anna nahm die Katze auf den Arm und trug sie in ihre Kammer. Hier war Feli noch nicht oft gewesen, sie beschnupperte aber zufrieden die Truhe und den Schemel, das Lesepult und den bunten Teppich und fand dann mit unfehlbarem Instinkt das weichste und wärmste Plätzchen im Raum – Annas Bett.
Mit dem schnurrenden Tierchen im Arm weinte sich Anna in dieser Nacht in den Schlaf. Aber als sie in der Dunkelheit aufwachte und die atmende kleine Kreatur vertrauensvoll an sich geschmiegt fühlte, fand sie ein wenig Trost darin.
30. Kapitel
Der Syndicus
Der Syndicus Fabio Pontes stand vor einem Problem. Er hatte eine Relatio für den Rat zu verfassen, die von äußerster Delikatesse war. Dieses Gutachten betraf das Weib des Gewürzhändlers und Ratsherren Hrabanus Valens, einem ehrbaren Mann, der im Stadtrat geachtet und geschätzt wurde. Und nun saß sie im Turmgefängnis, seine Frau Rosa. Die Anklage lautete auf Mord, Zauberei und Teufelspakt. Das war hart.
Die Voruntersuchung, die zuvor stattgefunden
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