Der Bernsteinring: Roman
kam noch ein ganz anderes Gerücht dem Syndikus zu Ohren. Allerdings nicht bei der regulären Vernehmung, sondern im Badehaus, das er samstags zu seiner Erholung gerne aufsuchte. Dort war Frau Rosa ebenfalls das Gesprächsthema, allerdings nicht unter den Frauen, sondern bei den Männern von der Stadtwache. Die nämlich spotteten darüber, die Schlupfhure würde dem Turm nun wohl nicht so leicht entschlüpfen können. Sie hatten eine ganz eigene Meinung zu dem Fall: »Wenn du mich fragst – das ermordete Mädchen wusste zu viel über ihren Liebhaber.«
Mit diesem Wissen stand der Syndikus also vor dem Problem, die Vorentscheidung für das weitere Verfahren zu treffen. Einerseits war Frau Rosa die Gattin des Ratsherrn Hrabanus, und wenn sie unschuldig eingekerkert bliebe, würde er, der Syndikus, nicht unerheblichen Ärger bekommen. Andererseits gab es stichhaltige Gründe für die Annahme, dass Frau Rosa ein Doppelleben geführt hatte. Giftmischerei konnte man ihr wohl nicht unterstellen, aber diese Kräuterhexereien waren bedenklich. Woher sie ihre Kenntnisse hatte, war offensichtlich. Den Mord – nun das sollte man noch prüfen, ob nicht auch ein anderer dieses Verbrechen begangen hatte. Er war nicht überzeugt von Rosas Schuld.
Nachdenklich zog sich der Syndikus am heiligen Sonntag in seine Schreibstube zurück und verfasste seine Empfehlung. Sie lautete, die Angeklagte dem städtischen Gewaltgericht zu übergeben, das das Strafmaß wegen unbotmäßigen Verhaltens feststellen würde.
Doch unvermittelt kamen am frühen Montagmorgen zwei Zeuginnen und machten eine Aussage, die ihn seinen wohl formulierten Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise umstoßen ließ.
31. Kapitel
Julius’ Entdeckungen
Eine Woche lang hatte Anna mit steigender Sorge auf Nachrichten über Rosa gewartete. Sie hatte zwar täglich im Turm vorgesprochen, durfte jedoch nicht mehr mit ihr sprechen, da die Vernehmungen begonnen hatten. Wenigstens hatte sie von dem Verwalter Gerhard erfahren, die Gefangene sei inzwischen zu einigermaßen erträglichen Bedingungen im Turmgefängnis untergebracht, der Advokat habe dafür Sorge getragen. Aber was die Anklage und die Ermittlungen anbelangte, blieb sie im Unklaren. Am Freitag gab es jedoch eine Neuigkeit.
»Da ist eine Nonne an der Pforte, die Euch sprechen möchte, Frau Anna!«, sagte eine der Mägde.
Verwundert sah Anna von ihrem Schriftstück auf.
»Was will sie?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Na gut, ich gehe zu ihr.«
In der Tat wartete eine Nonne, Benediktinerin, nach ihrem schwarzen Habit zu schließen, an der Pforte.
»Ihr seid Frau Anna?«, fragte sie mit eigentümlich rauer Stimme.
»Ja, Schwester, die bin ich. Was kann ich für Euch tun?«
»Ich habe ein Schreiben für Euch. Bitte lest.«
Noch mehr verwundert nahm Anna das gefaltete Papier entgegen und überflog die Worte, die in klarer, aber schmuckloser Schrift darauf standen.
»Hochgeachtete Frau Anna, bitte habt die Güte, Euchheute nach der Complet an dem Tor einzufinden, an dem wir uns verabschiedet haben. Es haben sich drängende Fragen ergeben. Gebt der Nonne Antwort.«
Gezeichnet war das Schreiben mit »Gevatter Tod«.
Anna sah die Nonne prüfend an und erkannte sie.
»Wenn Ihr zukünftig als Ordensfrau auftretet, solltet Ihr auf rote Unterröcke verzichten«, raunte sie ihr zu. »Und sagt dem Sänger, ich werde es einrichten.«
Die Nonne grinste und zog das Habit ein wenig tiefer, damit der rote Saum nicht mehr zu sehen war.
»Werd’s ihm ausrichten. Gott segne Euch!«
Anna schlich sich in der Dunkelheit aus ihrer Kammer, ein Umhang mit Kapuze verhüllte sie, und in der Hand hielt sie den Schlüssel zur Pforte an der Plektrudisgasse. Vorsichtig öffnete sie das Pförtchen und schaute sich in der schmalen Straße um. Eine Gestalt in einem dunklen Wams näherte sich ihr.
»Seid Ihr es, Frau Anna?«
»Julius?«
»Ja. Wir müssen reden. Bitte vertraut mir.«
»Nicht hier. Der Nachtwächter geht seine Runden, und ich möchte nicht entdeckt werden.«
»Es gibt eine kleine Schenke die Straße hinauf.« »Ich kann nicht in eine Schenke gehen, Julius!« »Warum nicht? Dort, zwischen all den Gästen, wird
man Euch am wenigsten erkennen.«
»Es geht nicht.«
»Doch, Frau Anna. Ich muss mit Euch reden. Es geht um Rosa!«
»So habt Ihr es herausgefunden?«
»Ja, ich habe es herausgefunden, Rosa ist jetzt die Gemahlin des Ratsherrn Hrabanus Valens und hat zuvor in diesem Stift gelebt. Ihr habt es mir
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