Der Bernsteinring: Roman
besten holt ihr Mathilde her.«
»Ja, das werde ich tun, aber dann ich lasse Euch allein, ich will den Advokaten aufsuchen.«
»Danke, Gerhard.«
Elfrieda und Anna mussten eine Weile warten, bis die Beschließerin kam.
»Gott sei ihrer Seele gnädig. Arme kleine Vally!«, sagte Elfrieda leise. »Wer kann ihr das angetan haben?«
»Jeder Halsabschneider in der Stadt, der nächtens auf der Suche nach einem Mädchen ist. Viel wichtiger ist, warum er sie ausgerechnet hier abgeliefert hat. Was soll damit bezweckt werden?«
»Wenn es nur Zufall war...?«
»Das war kein Zufall, Elfrieda.«
»Heilige Maria, Mutter Gottes, aber warum nur?« »Ich weiß es nicht. Still jetzt, wir wollen hören, was Mathilde zu sagen hat.«
Die Beschließerin mit den rot geweinten Augen kam in das Kontor.
»Ach Frau Anna, es ist mir so weh um das Mädchen!«
»Mathilde, was glaubt Ihr, wie es mir geht? Sie war so ein liebes Ding. Aber sagt, war sie gestern noch hier bei Euch?«
»Sie kam oftmals vorbei, wenn Sie Eure Besorgungen auf dem Markt erledigte. Ja, sogar gestern schaute sie kurz herein. Um die Nachmittagsstunde, würde ich sagen. Sie war fröhlich wie immer und schwatzte mir zwei neue Äpfel ab. Sie erzählte etwas von dem Affen der Gaukler. Aber dann ist sie fortgegangen, noch bevor die Glocke zur Vesper geläutet hat.«
»Dann wird sie zu den Gauklern gegangen sein, Frau Anna«, meinte Elfrieda.
»Die werden ihr das angetan haben!«, zischte Mathilde. »Fahrendes Gesindel, gottlose Gesellen, die sich keinen Deut um das Leben eines Mädchens scheren.«
»Nicht so schnell mit Eurem Urteil, Mathilde. Warum sollten ausgerechnet die Spielleute sie umbringen und dann zu Euch schicken?«
»Weiß der Teufel! Weil sie gesehen haben, wie sie aus diesem Haus kam!«
»Mathilde, was wisst Ihr von Frau Rosas nächtlichen Spaziergängen?«
»Frau Anna!«
»Tut nicht so entsetzt. Ihr wisst davon.« Die Beschließerin wrang die Schürze mit ihren Händen. »Mathilde, ich bin Rosas Freundin, wir haben viele Jahre gemeinsam eine Kammer geteilt. Ich weiß, wie sie ist. Also?«
Mathilde schluckte, aber dann sagte sie doch: »Ja, sie ist dann und wann nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus gegangen.«
»Aus welchem Grund? Was redet man?«
»Dass sie... dass sie... O Mutter Gottes! Frau Anna, schlimme Dinge sagt man.«
»Dass sie einen Liebhaber trifft!«
Stumm nickte die Beschließerin.
»Wen?«
»Das weiß ich nicht. Wirklich. Es sind doch auch nur Gerüchte.«
»Was haben die Gewaltdiener gesagt, als sie sie holten?«
»Nichts. Sie haben gar nichts gesagt. Vielleicht zu Frau Rosa, aber nicht zu uns.«
»Und was sagen die Nachbarn?«
Wieder wurde die Schürze zwischen den rauen Händen zerknittert.
»Es geht böses Gerede um, Frau Anna. Aber es ist nicht wahr. Sie sagen, Frau Rosa sei eine Zaubersche, denn sie hat schon mal Tränke für die Kranken gebraut.«
Anna presste die Lippen aufeinander. Das war schlimmer, als sie gedacht hatte.
»Ich muss zum Turm.«
»Ja, Frau Anna, sprecht Ihr mit dem Turmmeister.«
Elfrieda und Anna verabschiedeten sich und wählten den kürzesten Weg zum Turmgefängnis. Der Zufall wollte es, dass der Turmmeister ihnen schon am Eingang begegnete. Er erkannte sie sofort wieder.
»Frau Anna, so habt Ihr meine Botschaft also schon erhalten.«
»Eure nicht, aber ich erfuhr, dass eine junge Tote gefunden wurde.«
»Ja, wir haben ein Mädchen. Und es sieht schlimm aus. Folgt mir.«
Valeska lag auf einem Tisch, wo der Stadtmedikus sie untersucht hatte.
»Ist das das Mädchen, das Ihr vermisst?«
Elfrieda wandte sich ab und schluckte hart. Anna aber atmete ein paarmal tief durch und sah dann zu der stillen, erloschenen Gestalt hin.
»Ja«, sagte sie heiser. »Sie ist es. Wie ist sie gestorben?«
»Nun... auf seltsame Weise, Frau Anna. Kommt, wir gehen in die Schreibstube des Turmmeisters. Der Schreiber ist dabei, aufzunehmen, was der Medikus zu sagen hat.«
Und so erfuhr Anna aus dem Mund des Medikus, dass Valeska drei Verletzungen aufwies. Die geringfügigste stammte von dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit, gestorben war sie den Erstickungstod. Doch die entsetzlichste Erkenntnis war, dass ihr jemand eine tiefe Wunde über dem Herzen zugefügt hatte.
»Nach dem Tod, denke ich.«
»Heilige Anna.«
Zitternd krallte Anna die Hände in ihre schwarze Tracht.
»Aber warum habt Ihr Frau Rosa geholt? Was hat sie mit all dem zu tun?«
Der Turmmeister antwortete ihr.
»Es gibt Aussagen, das
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