Der Bernsteinring: Roman
Valens stehen.
»Herr, das ist meine Kammergefährtin, Rosa von Gudenau.« Rosa brachte trotz ihres stürmischen Auftritts einen höchst anmutigen Knicks zustande und musterte den Handelsherren mit verhaltener Neugier. »Mein Wohltäter, der Herr Hrabanus Valens.«
»Meinen ehrerbietigsten Gruß, Herr.«
»Seid auch Ihr gegrüßt, Rosa von Gudenau. Ich hörte, Ihr seid eine gute Freundin meines Mündels geworden.«
Rosa warf einen schnellen Blick auf Anna und nickte dann bestätigend. Aber besonders wohl schien sie sich nicht zu fühlen. Doch von einer weiteren Unterhaltung wurde sie erlöst, denn nun schlenderten auch andere Gäste in dem Kreuzgang, ihnen voran Berlindis in Begleitung von zwei verwaschenen alten Jungfern, die ihr gewöhnlich Gesellschaft leisteten.
»Hier seid Ihr also, mein Herr Gemahl. Wie üblich in Gesellschaft junger Weiber!«, fuhr sie Hrabanus Valens scharf an, als sie näher kam.
»Verzeiht, Berlindis, ich habe mich nur nach dem Befinden von Anna di Nezza erkundigt. Ihr erinnert Euch an die junge Waise, die im vergangenen Jahr eine kurze Weile bei uns verbrachte?«
»An den dummen Stummfisch erinnere ich mich natürlich. Kann sie inzwischen mehr als drei Worte in verständlicher Sprache stammeln?«
Bevor Hrabanus eine Antwort geben konnte, machte Anna eine kleine Verbeugung in ihre Richtung.
»Durchaus, Frau Berlindis. Ich verstehe Euch ganz ausgezeichnet!«
»Ach, was für eine wundersame Verwandlung. Und die da, mein Herr Gemahl? Die kennt Ihr auch?«
Das spitze Kinn wies auf Rosa, die gerade versuchte, ihre Haare unter den Schleier zu stopfen.
»Die Freiin Rosa von Gudenau ist meine Freundin. Sie kam im Augenblick vorbei, um mich zur Singmeisterin zu begleiten. Mein Herr, Frau Berlindis, mit Eurer Erlaubnis ziehen wir uns nun zu unseren Pflichten zurück.«
Berlindis lachte schrill auf. »Freiin von Gudenau? Die ist nie und nimmer eine Freiin, die ist eine Schlumpe, wenn ich je eine gesehen habe. Und du, Anna di Nezza, magst vielleicht aus Neapel stammen, aber vermutlich bist du auch nur ein weiterer Bastard meines edlen Herrn Gemahls, so wie er sich um dich bemüht. Oder warst du seine Buhle, der er sich elegant entledigen wollte?«
Hrabanus Valens nahm seine Frau am Arm und schob sie zum Ausgang des Kreuzgangs. Über die Schulter hin sagte er mit ruhiger Stimme zu Anna und Rosa: »Verzeiht, edle Damen. Mein Weib ist krank und leidet unter starken Schmerzen. Sie weiß nicht, was sie sagt.«
»Heiliger Vitus, was für ein Gespann. Eine Natternzunge und ein blatternarbiges Monstrum.«
Rosa sah ihnen mit einem Kopfschütteln nach.
»Sie ist eine Natternzunge und ein Schandmaul, das stimmt, Rosa. Und wer gelbe Galle im Übermaß besitzt, sollte nicht so viel fette Aalsuppe essen. Aber er ist kein Monstrum. Er ist ein großzügiger und kluger Mann.«
»Doch dein Geliebter?«
»Nein. Du bist unmöglich, Rosa!«
»Na ja, mit dem möchte ich das Bett auch nicht teilen.«
»Rosa!!«
»Außer er ist sehr, sehr großzügig!«, setzte sie kichernd hinzu.
Der Handelsherr machte sein Versprechen wahr, die Bibliothek des Stifts erhielt eine Truhe mit ausgesuchten Werken, darunter auch einige, die sich mit der Lehre der Himmelskörper befassten, insbesondere Übersetzungen arabischer Gelehrter. Aber es gab auch die erste gedruckte Beschreibung einer weiten Reise von einem Mann namens Marco Polo, die Geographica des Ptolemäus und, was Anna mit besonderer Freude erfüllte, eine Kopie des Codex, den der Nürnberger Patrizier Schürstab einst in Auftrag gegeben hatte, und in dem der Einfluss der Gestirne auf die vier Lebenssäfte beschrieben wurde.
»Anna, die Nase, hat ihre Nase wieder mal in ein Buch gesteckt«, spöttelte Rosa, die ihre Mitbewohnerin kaum noch vom Lesepult fortlocken konnte. »Dabei gibt es doch aufregende Neuigkeiten!«
»Ach ja? Du warst wieder einmal auf dem Markt und hast Geschwätz aufgelesen, nehme ich an.«
»Auflesen und lesen – beides erweitert den Horizont.«
Anna lachte und schlug den schweren Codex zu. »Also, was gibt es?«
»Es heißt, sie haben unten im Süden einen heiligen Stein gefunden!«
»Unten im Süden?«
»Na, südlich der Stadt, bei Wesseling.«
»Und wieso ist der Stein heilig?«
»Er ist uralt, heißt es. Und er stellt die drei Marien dar, Anna. Außerdem sind schon Wunder geschehen.«
»Bist du sicher, dass es nicht nur ein Gerücht ist?«
»Es haben zwei Nonnen darüber gesprochen. Zwei Ursulinerinnen. Sie haben eine
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