Der Bernsteinring: Roman
eines Oberländers, die Tochter eines Ratsherren, ein Stadtsoldat, eine Goldstickerin, zwei Mönche, die Meisterin eines Beginenkonvents, ein Buchdrucker, die Hökerin mit den geschwollenen Füßen, eine Schwangere und eine Unfruchtbare, ein Fuhrknecht und die Dirnen. Zumeist hatten sie ein und denselben Wunsch. Und die Zauber’sche, die in ihrer Küche geheimnisvolle Tränke braute, versprach ihnen Erfüllung. Sie verteilte Krüglein mit einer Mischung aus Wein, Zimt, Muskatnuss, Kümmel und Drachenwurz, dessen Genuss jene zur Liebe verführt, die sich gegen sie wehren. Oder, bei härteren Fällen, das in Eidotter verrührte Sperma eines Bocks, vermischt mit Melisse und getrockneten Tausendfüßlern. Manchmal ließ sie sich auch gutes Gold für Küchlein zahlen, die zerstoßene spanische Fliege und menschliches Blut enthielten. Besonders wertvoll aber war das Pulver, das immerwährende Leidenschaft wecken sollte und neben getrockneter Kröte, Rattenschwänzen, Quecksilber, Arsen, Oregano und Minze auch das Haar eines Gehenkten beinhaltete. Amulette fertigte sie ebenfalls, nicht solche aus Holz oder Pergament mit magischen Sprüchen, sondernsie verwendete die getrockneten Herzen von Schwalben oder Tauben, von Hasen oder Katzen, je nachdem, welche Eigenschaften geweckt werden sollten – Treue oder Sanftmut, Fruchtbarkeit oder Verführungskünste. Sie hatte so ihre Quellen, die Zauber’sche. Kräuter in ihrem Garten, Gewürze aus der Küche, manches erwarb sie von herumziehenden Quacksalbern, anderes von einem schmuddeligen Alchimisten. Doch auch von den Hundschlägern und Schindern erhielt sie die eine oder andere delikate Zutat. Den Scharfrichter allerdings hatte sie noch nicht gefragt. Und darum war das Fett eines Mörders doch nur Schweineschmalz und die Haare eines Gehenkten solche, die sie aus dem Laken klaubte, das das Bett in ihrer Hinterstube bedeckte. Das Bett in jener Stube, in der oft die Wirksamkeit ihrer Elixiere auf die Probe gestellt wurde.
*
»Pfui Deibel!«
»Das kannst du wohl sagen, Cilly. Mich schaudert es gewaltig bei dem Gedanken, derartige Gebräue einzunehmen. Aber genau das macht wohl ihren Reiz und ihre Wirkung aus.«
»Meist ist es von psychologischer Wirkung gewesen, aber manches hat auch physischen Einfluss gehabt«, meinte Rose. »So hat mir Julian das damals erklärt.«
»Arsen und Quecksilber zeigen mit Sicherheit Wirkung. Aber wohl kaum in der gewünschten Form. Die sind doch giftig.«
»Ja, Cilly, das sind sie im Prinzip. Aber es kommt darauf an, in sehr kleinen Mengen können sie als heilendes Medikament wirken. Wie schon Paracelsus es so richtig bemerkte, macht die Dosis das Gift.«
»In großen Dosen kann also eine harmlose Substanz giftig sein?«
»O ja, Schwester. Schokolade kann beispielsweise enorm giftig sein. In zu großen Mengen genossen, besteht die Gefahr, Diabetes zu bekommen.«
»Darum, liebe Anita, habe ich beschlossen, in der Fastenzeit auf diesen Genuss zu verzichten.«
»Cilly, wir haben eine lebende Märtyrerin unter uns!«
»Na, wenn das mal gut geht!«, kicherte Cilly. »Aber lass uns dieses Kapitel beenden. Erzählt mir endlich von Gratia oder Valeria oder so. Ich will meine Rolle haben, Anita!«
»Bekommst du. Hör zu!«
16. Kapitel
Valeska
Die alte Stiftsschreiberin war auf dem Lichhof hinter der Kirche von Maria im Kapitol begraben worden, und nicht nur Anna hatte Tränen in den Augen. Später hatte die Äbtissin Anna dann zu sich gebeten und lange mit ihr gesprochen.
»Ihr wollt mir wirklich dieses Amt anvertrauen, Ehrwürdige Mutter?«, hatte Anna schließlich gefragt.
»Nun, warum nicht? Du hast den besten Überblick über Dionysias Aufgaben. Und wahrscheinlich hast du in den vergangenen Jahren auch viele ihrer Schreibarbeiten für sie erledigt. Mir will es vorkommen, als ob deine Handschrift immer häufiger auf den Schriftstücken, Urkunden und Briefen erscheint.«
»Ja, nun...«
»Auch meine Augen beginnen nachzulassen. Ich weiß, wie es Dionysia ergangen ist. Also, Anna?«
»Gerne, Ehrwürdige Mutter.«
»Gut, aber neben den Schreibarbeiten für mich und die Priorin wirst du auch die Unterweisung der jungen Kanonissen übernehmen, die nicht lesen und schreiben können. Dass du das kannst, hast du ja bei Rosa bewiesen.«
Äbtissin Ida-Sophia erlaubte sich ein kleines Lächeln.
»Ja, Ehrwürdige Mutter.«
»Wir werden sehen – das Zimmer von Dionysia ist ja nun frei, und es dürfte deinem Amt entsprechen, wenn du es
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