Der Bernsteinring: Roman
von seinem Leid.
»Nun, man kann etwas versuchen. Aber das Heilmittel ist teuer.«
»Am Geld soll’s nicht liegen.«
»Ach nein? Gut. Aber Ihr habt noch eine Aufgabe zu erfüllen, damit das Mittel wirken kann. Ihr müsst das betroffene Glied mit dem Blut einer Jungfrau reinigen. Seid Ihr dazu bereit?«
Seine Beklommenheit nahm zu, aber trotzdem fragte er forsch: »Gibt es in dieser unheiligen Stadt denn noch Jungfrauen?«
»Aber sicher. Wenn Ihr auch dafür zahlt, beschaffe ich Euch eine.«
»Dann tut das!«
»Kommt jeden Abend vorbei. Wenn ich Euch das Bier in dem roten Krug serviere, kommt wieder an die Hinterpforte.«
Als er gegangen war, setzte sich die Schenkenwirtin zufrieden mit einem Becher des wirklich ausgezeichneten, selbst gebrauten Bieres an den Kamin. Auf diese Gelegenheit hatte sie schon lange gewartet. Jetzt würde Anna Dennes die Rechnung begleichen, die Rechnung für die Verluste, die sie erlitten hatte, dass sie, die Kupplerin, nicht über ihre Dienstleistungen so verfügen konnte, wie einst über die ihrer Mutter. Über den Umweg der kleinen Gossengöre, die die vornehme Stiftsschreiberin zu ihrer Magd gemacht hatte. Noch wusste sie nicht recht, wie sie des Mädchens habhaft werden konnte, aber da würde sich bestimmt etwas ergeben.
26. Kapitel
Die Gaukler kommen
Mitten auf dem Alten Markt stand der Tod auf dem Podium und sang:
»Komm heiliger Vater, werter Mann,
Ein Vortanz müsst Ihr mit mir han:
Der Ablass Euch nicht hilft davon,
Nicht zwiefach Kreuz und dreifach Kron.«
Vor ihm kniete der Papst und hielt verzweifelt seine Tiara fest. Er jammerte:
»Heilig ward ich auf Erd genannt,
Nach Gott führt ich den höchsten Stand.
Der Ablass tät mir gar wohl lohnen,
Nun will der Tod mich nicht verschonen.«
Straßenhändler, Bürgersfrauen, Fuhrknechte, Mägde, Bierbrauer, Harnischmacherinnen, Maurergesellen, zwei Benediktiner-Novizen, Küfer, Seidweberinnen, Gewandschneider, eine Gruppe grauer Beginen, Barbiere, Bader- huren, die Stiftsschreiberin Anna mit ihrer Magd Valeska und einer jungen Schreibgehilfin namens Elfrieda – sie alle hatten sich auf dem Platz versammelt und schauten den Spielleuten zu, die ihre Künste darboten. Führend war ein Mann in schwarzem Wams und schwarzen Hosen, auf die in grellem Weiß die Knochen des Skelettes abgebildet waren. Er trug eine weiße Kappe, und seinGesicht war ebenfalls weiß geschminkt. Nur die Augen und die Wangenhöhlung waren schwarz. Der Tod, leibhaftig. Und zu den Klängen der Sackpfeife und der Trommel tanzte er nun einen grotesken Tanz mit dem Papst, bis dieser leblos zusammenbrach. Zwei bunt gekleidete Narren trugen ihn fort, und der Tod sah sich im Publikum um.
Valeska, die ansonsten so keck nach vorne drängelte, klammerte sich fest an Annas Hand. Aber der Tod sah über sie hinweg und zeigte mit knochiger Hand auf eine Nonne neben dem Podium.
»Gnädige Frau Äbtissin rein,
Wie habt Ihr so ein Bäuchlein klein:
Doch will ich Euch das nicht verweisen,
Wollt ich mich eher in Finger beißen.«
Die Äbtissin musste sich von ihm um die Mitte fassen lassen und wurde zur Musik herumgewirbelt. Dann sang auch sie:
»Ich hab gelesen aus dem Psalter
In dem Chore vor dem Fronalter:
Nun will mich helfen hier kein Beten
Ich muss dem Tod entgegentreten.«
Ein letzter Wirbel, und die Äbtissin sank nieder. Die Narren taten ihre Pflicht.
Valeska zerrte an Annas Hand und sagte: »Herrin, wir müssen ins Rathaus.«
»Ja, gleich, Valeska. Aber lass mich noch ein paar Strophen hören. Der Mann ist richtig gut!«
»Aber der macht mir Angst!«
»Vally! Du hast mich zu einer Hinrichtung geschlepptund hast zugesehen, wie der Scharfrichter einen Mann enthauptet hat. Das hier ist nur ein Schauspiel, und davor fürchtest du dich?«
»Der Rentmeister war ein Verbrecher. Aber dieser hier holt jeden!«
»Natürlich, Valeska, der Tod holt jeden. Sieh mal, jetzt hat er einen Ratsherren am Wickel.«
Der Tod sang:
»Seid Ihr ein Herr gewesen in der Stadt,
den man im Rat gebrauchet hat?
Habt wohl geraten Ihr, ist’s gut,
Doch werd ich Euch auch zieh’n den Hut.«
Der Tod riss dem Ratsherren das Barett vom Kopf und drehte eine fröhliche Runde mit ihm auf dem Podium. Dann ließ er den Mann zu Worte kommen, der sich mit Schaube und klimpernder Amtskette als Ratsherr verkleidet hatte. Er antwortete dem Tod:
»Hab mich bemüht bei Tag und Nacht,
Dass der Gemeinnutz wird beacht,
Sucht Reich
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