Der Bernsteinring: Roman
hältst mich in deiner Hut.«
Mit einer bittenden Geste legte sie den Apfel zu Mariens Füßen nieder und sah zu dem zappelnden Jungen in ihrem Arm auf. Zappelnd?
*
»Stimmt, da liegen auch heute noch Äpfel. Ich wusste nicht, was das bedeutet!«, meinte Cilly. »Werden die Wünsche wirklich erfüllt, wenn man da betet?«
»Natürlich. Du musst nur einen roten Apfel hinlegen und dreimal laut sagen: ›Ich wünsche mir ein gutes Zeugnis!‹, und schon hast du es!«
»Anita, du verarschst mich!«
»Cilly, du forderst es heraus.«
»Du hältst mich für doof.«
»Nein, für naiv. Aber süß!«
»Wie ich dich hasse. Ich bringe dir keinen Berliner aus der Küche mit.«
»Dann verschmachte ich eben.«
»Nein, das geht auch nicht, denn dann erfahre ich ja nie, wen Anna heiratet.«
Cilly trabte in die Küche, und ich hörte, wie sie die Kaffeemaschine anstellte.
Rose streckte sich, rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Ihre blonden Locken standen daraufhin wirr ab, und die Wimperntusche hinterließ einen dunklen Schatten unter den Augen. Sie sah aus wie eine Putte, die gelumpt hatte.
»Für mich keinen Berliner, nur ein Knäckebrot!«, sagte sie.
»Konsequent in der Fastenzeit, meine Liebe!«
»Ich habe jetzt schon seit Wochen den Süßigkeiten entsagt und vier Kilo verloren. Es ist gar nicht so schwer!«
25. Kapitel
Bei der Zauberschen
Es hatte nichts geholfen, der Quacksalber hatte versagt. Das Geschwür wollte nicht verschwinden, es waren sogar zwei weitere dazugekommen. Dem Mann war das nicht geheuer. Und vorsichtig, ganz vorsichtig begann er Erkundigungen einzuziehen, ob es denn nicht noch andere Heilkundige in der Stadt gab, die sich derartig delikater Probleme annahmen. Einen Arzt, der ihm empfohlen worden war, hatte er konsultiert. Der hatte seine Unwissenheit hinter hochtrabendem Gerede über Säfte und Planeten, Schröpfköpfe und unsauberes Blut versteckt, ihn zur Ader gelassen und eine übel riechende Salbe aufgelegt, die das Ganze nur noch schlimmer machte. Außerdem hatte er ein Heidengeld dafür verlangt.
Aber nun hatten ihm die Gerüchte zugetragen, es gäbe auch noch andere Möglichkeiten. Ganz überzeugt war er nicht, und – zugegeben – etwas unheimlich war ihm der Vorschlag ebenfalls. Aber was sollte ein Mann machen, dessen wertvollster Körperteil langsam aber sicher zerfressen wurde? Er suchte die Zaubersche auf, die angeblich über Heilkräfte verfügte, die nur Frauen ihrer Art kannten.
Es war eine ganz normale Schenke, die er dazu aufsuchen musste, und als er der mondgesichtigen Wirtin ansichtig wurde, die angeblich über dieses geheime Wissen gebot, erleichterte ihn der Anblick ein wenig. Er hatte befürchtet, eine Angst erregende alte Hexeaufsuchen zu müssen, die in ihrer nach Fäulnis und Verderbnis riechenden Hinterstube mit den düsteren Geistern der Hölle Verkehr pflegte. Danach sah die Wirtin aber nun wirklich nicht aus, und ihr Eintopf war geradezu köstlich. Auch das Bier, das sie selbst braute, ließ sich gut trinken. Gestärkt mit den Erzeugnissen des Hauses flüsterte er ihr, als sie wieder einmal an seinen Tisch kam, ins Ohr, er wünsche sie dringend zu sprechen.
»Kommt, wenn die Schenke sich geleert hat, zur Hinterpforte«, hatte sie gemurmelt. Er war noch eine Weile sitzen geblieben, dann aber demonstrativ aufgestanden und gegangen. Doch nicht weit. Aus dem Schatten eines Torbogens beobachtete er, wie ein Gast nach dem anderen das Wirtshaus verließ. Dann wurden die Läden zugezogen und die Türe verschlossen. Er ging um die Häuserzeile, fand den Eingang zum Hof und klopfte an die Pforte.
Die Wirtin, mit einem dunklen Wolltuch über Schultern und Kopf, öffnete ihm.
»Kommt mit.«
Er folgte ihr in eine Kammer, die nichts außer einem Bett, einen Waschtisch, einen Nachtstuhl und zwei Hocker enthielt.
»Was ist so dringend, dass Ihr mich sprechen wollt?« »Ihr wisst, wer ich bin?«
»Gibt kaum jemanden, den ich nicht kenne. Aber vertraut mir, Eure Geheimnisse sind sicher bei mir. Was wollt Ihr also?«
»Man sagt, Ihr hättet Heilkräfte.«
»So, sagt man. Und Ihr benötigt derartige Kräfte? Tut es nicht der Bader oder der Apotheker genauso gut wie ich?«
»Die können nichts!«
Die Wirtin lachte leise auf.
»Worunter leidet Ihr denn? Funktioniert Euer Schießprügel nicht mehr?«
Der Mann hatte etwas Mühe, über den derben Witz zu lachen, aber er berichtete, unbehaglich auf seinem Schemel hin- und herrutschend,
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