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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Mund zu einem schiefen Lächeln.
    »Bin ich eigentlich gar nicht.«
    Die Anklage wurde dem Turmmeister unterbreitet, eine Abschrift des Pachtvertrages hatte Anna dabei und übergab sie ihm zusammen mit den Listen der gelieferten Mehlsäcke und deren Gewichtsabweichungen. Der Schreiber nahm den Fall auf, und der Turmmeister versprach eine zügige Abwicklung des Falles. Anna und die Pistorin waren bald entlassen. Sie traten aus der Kammer heraus und standen unerwartet vor einem breitschultrigen Mann mit blonden Locken.
    »Frau Anna!«
    »Oh, der Büchsenmeister Marcel le Breton!«
    »Was macht Ihr im Turm? Ihr seid doch hoffentlich nicht in Schwierigkeiten?«
    »Aber nein. Andere werden Schwierigkeitenbekommen. Hier also ist Euer Wirkungsbereich, Büchsenmeister?«
    »Ja, und es ist ein prachtvoller Turm, Frau Anna. Und eine wunderbare Befestigungsmauer. Letztes Jahr sind die Bauarbeiten für den Wehrgang darauf abgeschlossen worden.«
    »Ja, ich habe davon gehört.«
    »Seid Ihr schon einmal dort oben gewesen?«
    »Nein, das Wachegehen am Fluss gehört nicht zu den Aufgaben einer Schreibmeisterin!«
    Er lachte sie strahlend an, und auch Heilgard, jetzt, nachdem die Amtshandlung vollbracht war, in gelöster Stimmung, fügte hinzu: »Und auch nicht die einer Bäckerin. Aber sehen tät ich ihn schon ganz gerne mal.«
    Anna nickte und sagte zu Marcel le Breton: »Das ist Heilgard, unsere Pistorin. Würdet Ihr uns beide auf den Wehrgang führen?«
    »Aber mit Vergnügen. Folgt mir.«
    Marcel le Breton stieg die Wendeltreppe voran und stieß dann die verriegelte Holztür auf. Sie öffnete sich auf den schmalen Gang über der Stadtmauer, der sich am Rhein entlangzog. Der Wind wehte hier ein wenig stärker und riss an Annas Schleier und Röcken.
    »Hui!«, lachte sie und hielt das Tuch fest, das ihr entfliehen wollte. »Aber der Ausblick ist beeindruckend.«
    »O ja, ich liebe ihn auch. Seht, hier geht es zu den Arken. Wagt Ihr Euch auf den Strom hinaus?«
    Von dem Turm am Ufer zog sich eine Mauer in den Fluss hinein, deren weit gespannte Steinbögen mit dem Wehrgang über den Leinpfad führte und in einem überdachten Erker endete.
    »Ja, ich wage es. Aber wozu dient dieser Vorbau?« »Damit verhindern wir, dass Feinde der Stadt ohne weiteres vom Wasser an Land kommen können!«
    »Mir ist das zu windig dort. Geht Ihr, ich genieße den Ausblick über den Rheinhafen von hier aus«, sagte Heilgard, die ebenfalls mit ihrem Schleier kämpfte.
    »Kommt mit, Ihr seid ein mutiges Weib, Frau Anna!«
    Zwei Stadtsoldaten hielten Wache auf dem Wehrgang und grüßten ihren Büchsenmeister mit gebührender Achtung. Sie gingen an ihnen vorbei bis zu dem äußersten Ende, das mit einem Wachhaus abschloss. Davor blieben sie stehen, und Anna blickte den Strom hinauf, fort von der Stadt.
    »Heilige Anna, wie gerne möchte ich reisen!«, seufzte sie.
    »Möchtet Ihr das wirklich? Ihr überrascht mich, Stiftsdame!«
    Sie sah ihn an und zuckte mit den Schultern.
    »Auch Stiftsdamen dürfen sich nach der Ferne sehnen. Nicht nur nach dem Himmel.«
    Er lachte schallend auf, seine gesunden, weißen Zähne blitzten in dem wettergegerbten Gesicht, und seine blonden Locken wirbelten in einer plötzlichen Brise auf wie ein Heiligenschein.
    »Ja, es ist aufregend, fremde Länder kennen zu lernen. Ich verstehe Euch. Auch mich hat es einst in die Ferne getrieben. Aber für einen Mann ist es leichter.«
    »Viel leichter. Obwohl es auch Frauen gibt, die reisen.«
    »Landsknechtshuren, Marketenderinnen, Gauklerinnen, Zigeunerinnen.«
    »Die meine ich nicht. Fernhändlerinnen, Schifferinnen, Pilgerinnen.«
    »Dann geht auf Pilgerfahrt, Frau Anna di Nezza. Rom ist eine schöne Stadt!«
    Er sah sie herausfordernd an.
    »Vielleicht. Oder ich finde einen Mann, der seinen Handel mit fernen Ländern ausübt.«
    Der Wind zerrte an ihrem Schleier, und mit einem Ruck zog sie ihn vom Kopf. Strähnen lösten sich aus ihrem Zopf und flatterten, schwarzen Schlangen gleich, um ihre Schultern.
    »Jesus Christus, seid Ihr schön, Frau Anna.«
    Sie lachte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Findet Ihr?«
    »Ja, finde ich.«
    Er stellte sich vor sie und verdeckte mit seinem Rücken die Sicht vom Land auf sie. Dann umfasste er ihre Taille, zog sie mit einer schnellen Bewegung an sich und küsste sie hart auf den Mund. Doch genauso schnell ließ er sie wieder los.
    »Räuber!«, sagte Anna, nicht besonders ungehalten. »Pirat, wir sind auf See!«
    Sie lachte und drehte

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