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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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meinem Gesicht wird es aber langsam eng. Gullydeckel, Verträumtheit und was sonst noch alles darauf geschrieben sein soll.
    JAY: Erste offizielle Verwarnung. Der Schleudersitz ist und bleibt eine Option.
    LENORE: Mann, und ich dachte, dies wäre ein Ort, an dem man nicht immer in eine bestimmte Richtung gedrängt wird und auch keine anderen Leute aufgedrängt bekommt. Hören Sie, ich lasse hier fast meine ganze Kohle, weil gerade das mein Problem ist.
    JAY: Aber Ihre Art, ausgerechnet Ihrem Therapeuten Schuldgefühle einreden zu wollen, funktioniert immer weniger.
    LENORE: Dann kann ich ja gehen.
    JAY: Jetzt mal eine eminent wichtige, weil durchbruchsolfaktorisch relevante Frage. Warum, wenn es doch ganz normale, durchaus nachvollziehbare Wünsche und Bedürfnisse sind, warum dann Ihre Weigerung, jenen Ort zu besuchen, der vielleicht Auskunft geben könnte über einen vermissten Angehörigen? Oder Ihre ablehnende Haltung gegenüber jemandem Ihres Alters, zu dem Sie sich hingezogen fühlen und der Ihnen vielleicht ...
    LENORE: Woher wissen Sie denn, wie alt er ist?
    JAY: Das ergibt sich aus dem Kontext. Also hören Sie auf, mich zu beschimpfen. Entspannen Sie sich lieber, dann kommen wir heute vielleicht wirklich einen Schritt weiter.
    LENORE: Und Sie machen aus einer Mücke bitte keinen Elefanten – vorausgesetzt, es gibt diese Mücke überhaupt, was ich bezweifle. Und auch, wenn Sie das meinen, ich wehre mich gegen gar nichts. Ich habe bloß keine Lust, dort hinauszufahren. Es wäre ohnehin sinnlos. Was sollen sechsundzwanzig zum Teil steinalte Leute mit ihren Gehwägelchen in der Wüste? Zumal eine darunter ist, die eine konstante Temperatur von genau siebenunddreißig Grad braucht. Aber wogegen ich mich wohl wehre, ist, dass alle versuchen, mich irgendwie da hinzukriegen. Und wogegen ich mich ebenfalls wehre, ist, dass ich nicht einmal gefragt werde.
    JAY: Lenore, ich sage nur eines.
    LENORE: Was? Auf Wiedersehen?
    JAY: Nein, ich sage »Schutzhülle«, Lenore.
    LENORE: Auf Wiedersehen gefällt mir besser.
    JAY: Denken Sie doch mal an unsere gemeinsame Arbeit, unsere Fortschritte. Sehen Sie denn nicht, dass die ureigensten Wünsche und Bedürfnisse, die Sie ja durchaus an sich wahrnehmen, Ihnen keineswegs von einem Außen aufgezwungen werden? Ich sage Ihnen, dieses Muster ist eine klassische Fehleinstellung der Hygiene-Identitäts-Beziehung und durch die Membran- oder auch Schutzhüllen–Theorie sehr gut beschreib- und erklärbar. Dabei wird die Schutzhülle als krankhaft durchlässig empfunden: Das Selbst dringt nach außen und beschmutzt das Andere, das Andere dringt nach innen und besudelt das Selbst.
    LENORE: Tut mir Leid, das wird mir jetzt zu viel, ich muss dringend unter die Dusche.
    JAY: Und warum, bitte? Meiner Meinung nach, weil Sie genau erkennen, dass meine obige Erklärung, jawohl, machen wir einen großen Schritt vorwärts und sagen wir meine obige Erklärung, dass obige Erklärung vollkommen und erschöpfend stimmig ist. Was Sie als Einfluss des Außen empfinden, kommt in Wahrheit von innen, Lenore, merken Sie das nicht? Konzentrieren Sie sich auf Ihr Innenleben, Lenore. Spüren Sie, wie sauber es ist. Vergessen Sie, dass ich hier bin. Tun Sie so, als sei ich Sie.
    LENORE: Aber mit Ihrer bescheuerten Gasmaske kann ich Sie nicht ernst nehmen.
    JAY: Würde ich jetzt meine Maske entfernen, meine liebe, junge, naive Patientin, der Gestank des Durchbruchs wäre zu viel für mich, ich fiele sofort in Ohnmacht. Und Sie wären endgültig allein.
    LENORE: Was meinen Sie damit, dass ich so tun soll, als wären Sie ich? Ich dachte, die olle Schutzhülle wäre an allem schuld, würde uns nicht mehr richtig trennen. Wenn ich jetzt so tun soll, als wären Sie ich, was soll dann die Schutzhülle überhaupt?
    JAY: Sie verstehen immer noch nicht. Die Vorspiegelung kommt aus Ihrem Innern. Aber wahre Vorspiegelung entsteht nur im Zusammenhang mit einer intimen Kenntnis der Realität. Wenn Sie also so tun, als wäre ich Sie, dann muss die Schutzhülle funktionieren. Eine starke Schutzhülle entscheidet selber, was sie hereinlässt und was eiskalt an ihr abprallt. Nur die Selbst-sicheren können etwas vorspiegeln, Lenore. Die Selbst-sicheren verfügen über Schutzhüllen wie starke Ova. Also wie Ovums. Diese Schutzhüllen widerstehen dem pausenlosen Angriff des Anderen mit seinem schmutzigen Kopf und verpilzten Unterarm. Das Andere steht vor dem Tor, es stürmt, es rammt gegen das Tor, doch die sichere Schutzhülle

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