Der Besen im System
wirklich bis ans Ende ihrer Tage lieben wollten, dass sie dann gut daran täten, aus der Stadt weg und in eine Hütte im Wald zu ziehen, ich vermute mal irgendwo in Newark, fern von allen schädlichen Einflüssen der urbanen Gesellschaft, und er zeigt ihnen auch gleich ein paar Broschüren mit Waldhütten in allen Preislagen, eine beinahe surrealistische Szene, die der Erzähler da hingelegt hat, wo dem Psychologen regelrecht die Dollarzeichen in den Augen blinken, was ich ehrlich gesagt aber nicht so toll fand.«
»Mannomann.«
»Na egal, nach einem Jahr Therapie stehen der Mann und die Frau nahezu vollständig unter dem Einfluss des Psychologen und sind aufgrund ihrer Verliebtheit auch nicht willens, sich groß zu widersetzen, sondern recht gefügig, und so befolgen sie seinen Rat und kaufen sich so eine Hütte tief im Wald mit weit und breit so gut wie gar nichts, und der Mann gibt seinen Beruf als erfolgreicher Architekt auf, das heißt erfolgreich bis auf seine Tobsuchtsanfälle, und die Frau schmeißt ihren Job als Modedesignerin für Übergrößen hin, und sie heiraten und ziehen hinaus in ihre Hütte, wo sie zurückgezogen und ganz für sich leben und den nicht gerade dezenten Andeutungen im Text zufolge von morgens bis abends absolut irren Sex haben, nicht nur in ihrer Hütte, sondern auch draußen im Wald oder auf den Bäumen. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, fangen sie an, gemeinsam Romane zu schreiben mit Themen wie Sieg der reinen menschlichen Emotionen über die bösen Zwänge der modernen Massengesellschaft. Und wegen ihres irren, aber zugleich emotional absolut reinen und unschuldigen Sexes erwarten sie bald ein Kind und schaffen es noch ganz knapp in ihrem allradgetriebenen Jeep, den ihnen der Psychologe nämlich ebenfalls verkauft hat, in das kleine, abgeschiedene Waldkrankenhaus, doch es läuft alles glatt, das Kind ist ein kerngesunder Junge, und auf dem Weg von dem kleinen, abgeschiedenen Waldkrankenhaus zu ihrer noch abgeschiedeneren Hütte halten sie einmal an und sprechen mit einer pensionierten Nonne, die in einer Hütte in einem tiefen Tal unweit des Highway wohnt und sich selbstlos um Leute kümmert, die derart zurückgeblieben sind, dass andere Einrichtungen sie schon gar nicht mehr aufnehmen. Und der Mann und die Frau und die pensionierte Nonne schaukeln das Kind auf den Knien und unterhalten sich darüber, wie die Liebe doch über alle Widrigkeiten obsiegt, besonders aber über die Zwänge der modernen Massengesellschaft, was zu den besten Dialogen in der Geschichte zählt.«
»Geile Geschichte bis jetzt.«
»Wart’s ab. Danach fahren sie wieder in ihren Wald, und ein paar Jahre lang läuft alles großartig, einfach nur großartig. Aber dann, wie kleine Risse in einer schönen Skulptur, kehren nach und nach ihre alten Probleme zurück, es zeigt sich an den kleinen Dingen. Der Mann kann sich auf einmal über absolute Nichtigkeiten furchtbar aufregen, was die Frau wiederum manchmal so traurig macht, dass nach einer Weile die ersten leeren Frito-Beutel im Mülleimer auftauchen und sie wieder etwas zunimmt. Und ausgerechnet zu dieser Zeit entwickelt ihr Kind, das inzwischen sechs Jahre alt ist, ernst zu nehmende gesundheitliche Probleme. Denn jedes Mal, wenn das Kind weint – was Kinder ja gerne tun, wenn sie zum Beispiel hinfallen oder sich irgendwo stoßen –, wenn das Kind weint, bekommt es jedes Mal so eine Art epileptischen Anfall, jedenfalls schlägt es dann wild um sich und verschluckt beinahe seine Zunge, was alles in allem ziemlich beängstigend aussieht und den Eltern große Sorgen bereitet, auch wenn sie alle Hoffnung haben, dass es sich lediglich um eine Phase handelt, sie lieben eben ihr Kind so sehr, dass sie sich ganz verrückt machen. Überdies ist die Frau erneut schwanger, und so gehen diese kleinen unguten Vorzeichen erst einmal so weiter, bis sie Monate später in ihrem Jeep abermals in das kleine, abgeschiedene Waldkrankenhaus fahren, wo die Frau ihr zweites Kind zur Welt bringen soll, doch während der Geburt rutscht das ältere Kind auf einer feuchten Stelle im Flur aus, schlägt sich den Kopf und fängt natürlich an zu weinen, was sogleich in einen der bekannten Krampfanfälle übergeht, während im Kreißsaal das Baby geboren wird, ein Mädchen. Und als der alte, freundliche Landarzt dem Mädchen den Klaps auf den Po gibt, damit die Atmung in Gang kommt, fängt auch das Baby an zu weinen und erleidet noch im selben Moment ebenfalls einen epileptischen
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