Der bessere Mensch
Fällen verbargen sie in einem dunklen Winkel genau das, wogegen sie wetterten, wovor sie sich fürchteten, was sie aufregte und manchmal auch erregte.
Er holte sein Fahrrad aus der Tiefgarage und kettete es zehn Minuten später vor den Laboren der Spurensicherung an einen Laternenpfahl. Auf der Treppe in den ersten Stock begegnete er einem Biochemiker, den er seit gut zehn Jahren kannte und der ihn bei jedem Aufeinandertreffen ansah, als sei ihm sein Gegenüber völlig fremd. Wenn er es nicht wieder vergaß, wollte er den Gerichtspsychiater später zu diesem Phänomen befragen. Im Arbeitsraum der Forensiker roch es nach Strom, Chemie und Männern.
„Wollt ihr nicht einmal ein Fenster aufmachen, ihr Zombies?“ Schäfer trat hinter einen der Anwesenden, der gleichzeitig auf vier Bildschirmen arbeitete.
„Schäfer, du Kriminalfossil … was glaubst du, warum es in einem forensischen Labor eine spezielle Lüftung gibt, hä? Sporen, Verunreinigungen … sei froh, dass wir so was wie dich hereinlassen.“
„Jaja … also, wo sind die blonden Busenbomber in den SS -Uniformen?“
„Nichts dergleichen“, meinte der Techniker und zog einen Laptop heran, „da, dieser Ordner … da hinten ist ein freier Tisch, wo mein vierjähriger Sohn ab und zu sitzt … da kannst du nichts anstellen …“
Schäfer nahm den Laptop und setzte sich an den ihm zugewiesenen Schreibtisch. Nachdem er die ersten paar Bilddateien durchgesehen hatte, konnte er nicht anders als lachen. Born, der in unzähligen Ansprachen die Umvolkung der Österreicher wie ein Damoklesschwert über dem Land hatte pendeln lassen, stand offensichtlich auf Afrikanerinnen. Was Aussehen und Alter betraf, dürfte er nicht wählerisch gewesen sein: Korpulente Fünfzigjährige fanden sich auf der Festplatte ebenso wie gazellenhafte Frauen im jüngeren Alter. Ob eine der Abgebildeten minderjährig war, konnte Schäfer nicht beurteilen; doch als pädophil wollte er Born auf keinen Fall bezeichnen. Auch die gut fünfzig Filme waren vergleichsweise harmlos und, nach dem jeweiligen Vorspann zu urteilen, legal erhältlich. Also nichts, was sich nicht irgendwann auch auf den Festplatten so gut wie jeden geschlechtsreifen Mannes fand.
„Was ist mit seinem E-Mail-Verkehr?“, rief er seinem Kollegen zu.
„So gut wie gar nichts … diesbezüglich hat er wirklich noch zur alten Generation gehört“, antwortete der Techniker, trat neben Schäfer und öffnete einen weiteren Ordner.
„Die kannst du alle ins Mailprogramm ziehen … sind nicht einmal fünfzig.“
„Ist irgendwas gelöscht worden in den letzten Tagen?“
„Nein, deutet nichts darauf hin …“
„Danke …“
Schäfer las die E-Mails durch, die zu neunzig Prozent Antworten auf fremde Nachrichten waren. Borns Tochter, der Schachkollege, ein paar Namen, die Schäfer nicht kannte und in seinem Notizblock festhielt.
Er sah auf die Uhr. In einer Stunde hatte er seinen Termin. Und wenn er in der Praxis seines Therapeuten keinen Schwächeanfall erleiden wollte, musste er davor noch etwas essen. Er nahm den Laptop und stellte ihn seinem Kollegen auf dessen Schreibtisch zurück.
„Vielen Dank, R2-D2, und bis demnächst …“
„Ja, schleich dich …“
Schäfer sperrte sein Fahrrad auf und fuhr in Richtung seines Therapeuten. Auf halbem Weg hielt er bei einem japanischen Lokal, wo er sich in den Gastgarten setzte und eine Sushibox bestellte. Während er die Misosuppe löffelte, dachte er an Born und seine sexuellen Vorlieben. Hatte der Alte sich damit begnügt, sich auf die schwarzen Schönheiten einen herunterzuholen, oder gab es Kontakte, die darüber hinausgingen? Gab es eigentlich in Wien ein Bordell, das sich auf Dunkelhäutige spezialisierte? Aber das wäre zu riskant gewesen. Der Nazi im Afropuff … so blöd war nicht einmal Born, dass er dafür seinen Ruf aufs Spiel gesetzt hätte. Wie auch immer: Sie würden nicht umhin kommen, seine Frau deswegen zu befragen. Schäfer legte die Stäbchen ab und nahm sein Telefon.
„Bergmann … jetzt wird’s heikel. Nach dem zu urteilen, was ich auf Borns Computer gesehen habe, stand der alte Knabe auf die ganz und gar nicht arische Rasse … Genau … Und … Touché, Bergmann, Sie werden die Born etwas vor den Kopf stoßen müssen … Ganz dezent natürlich … Was soll ich Ihnen dafür schulden, ich bin Ihr Vorgesetzter … Die Flasche Muskateller? Die habe ich Ihnen doch längst schon … Na gut, Sie bekommen morgen zwei von diesem Tussigesöff …
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