Der bessere Mensch
reden, die ihn so unter ihrer Fuchtel hatte. Er sollte lieber mit ein paar Kollegen Billard spielen gehen und sich ein Bier zu viel genehmigen. Das hatte die Dinge schon oft ins Lot gebracht. Auf dem Gürtelradweg blieb er bei einer Bank stehen, setzte sich hin und rief Isabelle an. Sie meldete sich nicht, also sprach er ihr auf die Mailbox. Ab neun wäre er zu Hause.
„Wo ist mein Wein?“, begrüßte ihn Bergmann.
„War es so schlimm?“ Schäfer tätschelte seinem Assistenten die Schulter.
„Na ja … was sie gesagt hat, war das eine: Was uns einfiele, mit solchen obszönen Verdächtigungen das Andenken ihres Mannes in den Dreck zu ziehen, blablabla … aber das hatte eindeutig was Theatralisches und sie musste sich sehr anstrengen, überrascht zu wirken … ich glaube, dass sie eine Ahnung hatte und die einfach ganz weit hinten in ihrem Gehirn abgelegt hat …“
„Jetzt fangen Sie auch schon mit dem Gehirn an … was für eine Ahnung?“
„Weiß ich nicht … eine Geliebte … dass er zu den Nutten gegangen ist …“
„Was ist mit dem Auto?“
„Konnte sie gar nichts dazu sagen … schwarze Limousinen würden dort ständig verkehren, schon möglich, dass ihr Mann einmal von einem Freund besucht worden ist, der so ein Auto besitzt …“
„Da kann ich ihr nicht unrecht geben … haben Sie die Tage, an denen sie am Semmering war?“
„Nein … hat sie noch nicht geschafft … und jetzt könnte es wohl etwas länger dauern …“
„Bergmann … dass Sie immer in jedes Fettnäpfchen treten müssen …“
„Das ist ja wohl die Höhe. Sie haben …“
„War doch nur ein Scherz … darf ich Ihnen vielleicht einen Kaffee machen, Herr Kollege?“
„Lieber wäre mir ein Tee.“
Kurz vor sechs kam Leitner vorbei und berichtete über die Ergebnisse seiner Befragungen. An Feindschaften hatte es Born auf keinen Fall gemangelt. Aber keine der Personen, deren Namen im Laufe der Gespräche gefallen waren und die er anschließend überprüft hatte, entsprach im Entferntesten jemandem, der zu so einem Verbrechen fähig war. Er legte Schäfer eine Liste auf den Schreibtisch, die dieser höflichkeitshalber überflog.
„Was ist mit dem Dings, dem Studenten?“
„Xaver Plank … der kommt morgen Vormittag … sieht das alles offensichtlich sehr entspannt.“
„Na gut … gibt’s von Strasser etwas Neues?“
„Ähm … mir hat er nichts erzählt …“
„Erste Ergebnisse morgen Mittag“, erklärte Bergmann, „bisher hat er nichts gefunden.“
Nachdem Leitner das Büro verlassen hatte, lehnte Schäfer sich zurück und schloss die Augen.
„Wenn wir ehrlich sind, dann haben wir noch gar nichts“, meinte er gähnend, „also nichts, was wir uns nicht zusammenreimen können.“
„Er ist ja auch erst vorgestern umgebracht worden …“
„Stimmt“, gab Schäfer verwundert zu, „kommt mir schon viel länger vor.“
Um sieben verließ er das Kommissariat, um sich mit dem Gerichtspsychiater zu treffen. Wie er es geahnt hatte, war er mit dem Treffen überfordert. Was der Mann aus der vollständigen Zerstörung des Gehirns alles ableiten konnte … der Sitz der Seele in Gehirn oder Herz, Bräuche der Kannibalen, Rituale der Maya, Experimente der Nazis … und wie half ihm das bitte bei der Tätersuche weiter? Schäfer war froh, als ein Kollege des Psychiaters das Lokal betrat und sich zu ihnen an den Tisch setzte. Er bestellte noch ein kleines Bier, um nicht unhöflich zu erscheinen, und ließ die beiden schließlich allein.
6.
Wenn Schäfer länger als zehn Minuten unter der Dusche zubrachte, ohne dass er davor in der Gerichtsmedizin gewesen war … dann, weil ihm die Gedanken durchgingen und er die Zeit vergaß. Weil sich etwas in seinem Kopf eingenistet hatte, das nun still vor sich hinbrütete, ohne dass er wusste, was oder wo genau. Wie diese seltsamen sich drehenden Kreise und Fraktale auf seinem Bildschirmschoner, so ging es da oben zu, zu schnell, um ihre Wege zu verfolgen, zu verwirrt, um daraus einen verwertbaren Zusammenhang herzustellen. Vor allem nicht nach dem, womit er sein Gehirn in den letzten Tagen gefüttert hatte. Auch angestrengtes Nachdenken hilft da wenig, sagte er zu seinem Spiegelbild, davon bekommt man einen hochroten Kopf und die Adern treten einem auf die Schläfen wie den schneidigen Rittern, die das Schwert Excalibur aus dem Fels zu ziehen trachten. Verbissen und selbstsüchtig gelangt man nicht an dieses hehre Ziel, einzig das Vertrauen in die weisen Fügungen der
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