Der bessere Mensch
sich gerade noch an einer massiven Eichenholzkommode abfangen. Das mit dem eingeschränkten Blickfeld war noch in den Griff zu bekommen. Er querte das Esszimmer, Silberkandelaber auf dem Tisch, wurde wahrscheinlich nur bei größeren Empfängen als solcher genutzt, und betrat das Wohnzimmer, wo Borns Leichnam immer noch neben dem Lederfauteuil in der Position auf dem Boden lag, in der ihn Schäfer zuvor gesehen hatte. Wie ein übergroßer Heiligenschein hatte die Säure rund um die breiigen Reste des Kopfs das Parkett weggeätzt und war bis auf den Estrich durchgedrungen. Teufelszeug, murmelte Schäfer. An der Terrassentür machte sich ein Beamter der Spurensicherung mit einer durchsichtigen Plastikfolie zu schaffen, Koller, der Gerichtsmediziner, hatte den Tatort offenbar schon verlassen. Schäfer schritt langsam den Raum ab. Vor dem offenen Kamin stand eine Sitzgruppe aus weißem Leder, dazwischen ein Couchtisch aus naturbelassenem Buchenholz, auf dem ein Stapel Magazine lag und eine Vase mit weißen Pfingstrosen stand. Bevor er das Anwesen verließ, musste er noch den Gartenschlauch nehmen und die Blumen von seinem Erbrochenen säubern, sagte er sich, während er die Wände entlangging. Hier hatte offensichtlich der Hausherr bei der Dekoration das letzte Wort gehabt: zahlreiche Fotos und gerahmte Zeitungsausschnitte, Born mit ehemaligen Machthabern aus Politik und Wirtschaft, mit den Altherren seiner rechtsextremen Burschenschaft, bei Wahlveranstaltungen, dazu nicht nur die einschlägigen Lobhuldigungen aus parteinahen Zeitungen, sondern auch Artikel, die mit dem ehemaligen Obmann hart ins Gericht gingen: Antisemitismus, Rassismus, Volksverhetzung, Wiederbetätigung, kaum eine rechte Schandtat, derer Born von der Presse nicht beschuldigt worden war. Warum hängte sich jemand so etwas an die Wand? Viel Feind, viel Ehr – ein Wahlspruch, den Schäfer auf einem Bierkrug entdeckte, der neben anderen fragwürdigen Devotionalien in einem Kasten hinter einer Glastür stand; ein Tabernakel aus der Hitlerzeit, der allein schon das Verfahren aufgrund von Wiederbetätigung gerechtfertigt hätte, das Born nach nur zwei Wochen Amtszeit seinen Ministerposten gekostet hatte. Dabei hatte er nur ein paar jungen Neonazis geholfen, ihre Propagandaschriften zu verbreiten; was seine Ehefrau schlichtweg eine unappetitliche Geschichte nannte … Teufelszeug, murmelte Schäfer.
Er ging auf den Forensiker zu und fragte ihn, wo Koller sei. Der Mann sah sich verwundert um und zuckte mit den Schultern. Im Bad vielleicht, rief er dann durch die Maske und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Im Bad vielleicht, murrte Schäfer. Was war denn das für ein Forensiker, der mutmaßte, dass ihr Gerichtsmediziner sich im Schaumbad den Leichengestank abwusch und mit der Quietschente turtelte. Schon mal was von Spuren gehört? Dass sich der Täter nach dieser Horroraktion die Hände gewaschen hatte, war doch mehr als wahrscheinlich. Kopfschüttelnd trat Schäfer in den Vorraum, nahm die Maske ab, atmete vorsichtig prüfend durch die Nase ein und rief dann nach Koller.
„Hier!“, kam es vom hinteren Ende des Flurs. Schäfer folgte der Stimme und stand kurz darauf in der Küche. Der Gerichtsmediziner stand an der Anrichte über einen Laptop gebeugt und tippte mit den Zeigefingern auf der Tastatur herum. Koller und Computer, das hätte Schäfer bis zu diesem Tag auch nicht für möglich gehalten. Wortlos ging er zur Spüle und wusch sich den Schweiß ab, den ihm die Gummimaske aufs Gesicht getrieben hatte.
„So eine Sauerei“, wandte er sich Koller zu, während er sich mit einem Geschirrtuch abtrocknete.
„Warte kurz“, wehrte der Gerichtsmediziner ab und tippte konzentriert weiter, was Schäfer mit einem Grinsen beantwortete.
„Du und Computer“, meinte er hämisch, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Wasser. „Ab jetzt heißt du bei mir mit zweitem Namen Digitalis.“
„Mein Gott, Schäfer, deine Scherze werden auch immer primitiver“, erwiderte Koller und streckte seinen Rücken durch. „So! Was willst du wissen?“
Schäfer, der mit Koller nun schon seit über fünfzehn Jahren zusammenarbeitete, legte den Kopf schief und öffnete den Mund zu einem debilen Gesichtsausdruck.
„Na gut“, meinte der Gerichtsmediziner, „er ist wohl etwa gegen fünf Uhr gestorben. Oder besser gesagt: das war ungefähr der Zeitpunkt, zu dem ihm die Säure auf den Kopf gekippt wurde. Sonst wären die Dämpfe nicht mehr so aggressiv gewesen
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