Der bessere Mensch
berührt, immer gleich in den Wandtresor, um Fingerabdrücke zu haben … außerdem werde ich zerstückelt keine Vorwürfe mehr machen können …“
„Ich kann Ihnen nicht folgen … na, dann eben morgen … gehe ich heute halt zu Fuß heim.“
Eine gute Stunde lang besprachen sie die Aufgabenverteilung für den nächsten Tag und wie sie den Medien gegenüber auftreten sollten. Dass Born ermordet worden war: gut, Hass hatte er genug gesät; doch die Vorgehensweise … die war leider zu ausgefallen, als dass sich nicht zumindest ein Journalist einen einprägsamen Spitznamen für den Mörder würde einfallen lassen. Säurekiller, der Ätzer, was auch immer.
Schäfer meldete sich am Empfang ab und verließ das Kommissariat. Es sah nach Regen aus, dennoch ging er die gut sechs Kilometer zu seiner Wohnung zu Fuß. Sonst würde er zu Hause nur wieder unruhig werden, sich unausgelastet fühlen und gegen Mitternacht in der nahe gelegenen Kleingartensiedlung laufen gehen, wo ihn die Woche zuvor ein Hund angefallen hatte, gegen den ihm nur ein gezielter Fußtritt geholfen hatte.
In einem türkischen Geschäft kaufte er Erdbeeren, Tomaten, Oliven, Schafkäse und ein halbes Kilo sehr fetthaltiges Joghurt. Ständig war er hungrig; Gewichtszunahme gab der Beipackzettel als häufige Nebenwirkung an; doch das würde er mit ausreichend Bewegung schon in den Griff bekommen.
In der Wohnung stellte er die Einkäufe ab und öffnete die Balkontür, um frische Luft hereinzulassen. Am Nachbarbalkon stellte ein Mann, den Schäfer nicht kannte, Blumentröge in die Eisenhalterungen an der Brüstung.
„Schönen Abend“, grüßte Schäfer.
„Ah, guten Tag … Sie sind dann wohl der Polizist, ja … ich ziehe hier gerade ein … ist doch gut, wenn man neben einem Polizisten wohnt …“
„Kann ich nicht sagen … habe noch nie neben einem gewohnt.“
„Natürlich … ich heiße übrigens Peter Wedekind …“
„Johannes Schäfer … aber das wissen Sie offenbar schon …“
„Ja … die Maklerin hat gemeint, dass ich mich hier sehr sicher fühlen werde, weil … ja …“
„Ich bin bei der Mordkommission, kein Leibwächter … außerdem ist das doch eine ziemlich sichere Gegend hier …“
„Wahrscheinlich … ich bin ein ängstlicher Mensch, das gebe ich zu …“
„Na dann … ich muss mich um mein Abendessen kümmern … bis demnächst.“
„Ja … hat mich gefreut … Herr … Major …“
Schäfer ging ins Bad, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Dass er einen neuen Nachbarn bekommen würde, hatte er gewusst. Und nachdem er mit der lebenslustigen Studentin, die zuvor neben ihm gewohnt hatte, bis auf ein paar sporadische Faustschläge gegen seine Schlafzimmerwand immer gut ausgekommen war, hatte er der Ankunft eines neuen Nachbarn mit einer gewissen Spannung entgegengesehen. Und jetzt dieser paranoide Geranienfreund; der beim ersten Sturm, der an den Balkonmöbeln rüttelte, an Schäfers Tür hämmern und ihn bitten würde, in seinem Bett schlafen zu dürfen … mit der Pistole unter dem Kopfkissen. Er trocknete sich ab, zog Shorts und ein T-Shirt an und ging in die Küche, um das Abendessen zuzubereiten. Als er fertig war, horchte er auf den Balkon hinaus. Nichts. Er nahm seinen Teller, ein Stück Weißbrot und eine Flasche Bier und setzte sich damit an den kleinen Balkontisch. Langsam kauen, ermahnte er sich, genießen. Nachdem er fertig gegessen hatte, ließ er sich in den Liegestuhl fallen, nahm einen Schluck aus der Bierflasche und schaute über die Häuserdächer. Wie ein abgeschnittener Fingernagel sah der Mond aus. Aus der Nebenwohnung hörte er seinen neuen Nachbarn Möbel verrücken. Das Folgetonhorn eines Polizeiautos. Er hörte ihm zu, bis es sich irgendwo in den Außenbezirken verlor. Nichts, das ihn etwas anging. Schäfer stellte die leere Bierflasche auf den Boden und zupfte ein Blatt vom Basilikumstrauch, der in der Ecke stand. Ein Geschenk von Isabelle. Die erste Pflanze auf seinem Balkon; mittlerweile hatte er ihr einen Lavendel und einen Oleander zur Gesellschaft gebracht. Und Isabelle? Sie würde nach Den Haag gehen, an den Internationalen Gerichtshof. Eine Berufung, die sie auf keinen Fall ablehnen durfte. Aber sie hätte Nein gesagt, das wusste Schäfer. Er hätte Nein sagen können. Und sie wäre geblieben. Stattdessen … stattdessen hatte er sich dahinter verschanzt, dass sie ihre Entscheidung allein treffen müsse; er wolle ihr auf keinen Fall im Weg stehen, wenn es um ihr
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