Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
gesehen, oder?«
»Ja. Es war ein Riesenschock. Das Feuer, der Rauch, die ganzen
Leute, das Geschrei, die Lichter … Und dann sah ich dich. Du standst an der
Kirchenmauer, drüben bei den Petzolds. Ich konnte es zuerst gar nicht fassen.
Du warst da, einfach so. Wieder da. In meinem Leben. Was für eine Freude! Und
die Alten brannten lichterloh! Was für ein Fest! Ich wollte zu dir hin, dich
umarmen und festhalten, aber ich wollte auch in Ruhe das Feuer sehen, wollte
sehen, wie das Haus abbrennt bis auf die Grundmauern. Ich wollte sie verbrennen
sehen, ich wollte ihre Schreie hören, ihr versengtes Fleisch riechen, und als
ich dann wieder zu dir sah, begriff ich. Du warst genauso zufrieden wie ich,
genauso glücklich. Und dann warst du ich, so wie früher, und es war, als hätte
ich das Feuer gelegt und nicht du, und du würdest mir zulächeln und auf ihre
Schreie warten.«
»Warum hast du mich hängenlassen und bist verschwunden? Ich Idiot
dachte, ich hätte dich mit verbrannt!«
»Ich habe dich ins Beet von der Petzold kotzen sehen, als sie den
Typen rausgeholt haben. Der war siebzehn, ein heroinsüchtiger Stricher, mit dem
der Alte sich an dem Abend vergnügt hatte. Ich hatte mich verzogen, war die
halbe Nacht rumgelaufen. Als sie dann den Jungen rausbrachten und du gekotzt
hast, war mir klar, daß du denkst, ich wäre auch tot. Und plötzlich war das ein
großartiger Gedanke. Tot sein. Eine Riesenchance! Das war, als ginge eine Tür
vor mir auf. Und dahinter war nur Licht, weißes Licht. Da bin ich durch die Tür
gegangen. Eine Zukunft, verstehst du?«
Er lächelte: »Sehr gut. Moordorf war plötzlich meine Zukunft. Wo
bist du dann hin?«
»Nach Spanien.«
»Wie war’s in Spanien?«
»Ganz gut. Bis auf … Wie war’s in Holland?«
»Wie zu Hause. Ganz genauso.«
»Und wer von beiden hat deiner Meinung nach die Kinder auf
dem Gewissen?« fragte Christian.
»Ich fürchte Carlos. Er will ihre Seelen retten, weil sie durch den
Mißbrauch beschmutzt sind.«
Pete nickte: »Das paßt zum Profil. Die Waschungen. Die rituellen
Bestattungen.«
»Und er will Willi bestrafen«, fuhr Anna fort, »denn er weiß, daß
Wilhelm die Kinder mißbraucht. Oder mißbrauchen lässt. Und mich hat er dazu
benutzt, euch auf Deterings Spur zu setzen.«
»Wieso dich?« fragte Eberhard.
Volker trat ein und wollte etwas sagen, doch Christian gebot ihm mit
einer Geste zu schweigen. Volker lehnte sich gegen die Wand und hörte zu. Er
war kalkweiß im Gesicht, denn Yvonne hatte ihm draußen im Flur unter Tränen von
Nicki und Scout erzählt.
»Er muß mich mit Pete gesehen haben. Und er kannte euch alle aus der
Presse. Ich war dicht dran an der SOKO, dachte er, aber nicht so dicht, daß seine
Manipulation auffallen würde.«
»Wahrscheinlich – vorausgesetzt, das stimmt alles – hat Carlos sein
Haar absichtlich an der letzten Leiche zurückgelassen. Es ist von ihm, aber wir
haben es als Beweis gegen seinen Bruder gewertet. Identischer genetischer
Fingerabdruck«, sinnierte Pete.
Christian fuhr fort: »Und dem sauberen Makler ist in dem Moment, als
Anna ihn fälschlicherweise als ihren Patienten identifiziert hat, klargeworden,
daß sein Zwillingsbruder 1988 nicht mit verbrannt ist, sondern noch lebt. Das hat ihn so geschockt.«
Pete wandte sich an Anna: »Was hat Carlos jetzt vor?«
»Er will Wilhelm umbringen. Sein ursprünglicher Plan war wohl,
seinen Bruder lebenslänglich hinter Gitter zu bringen und somit für alle
Zukunft die Kinder vor ihm zu schützen. Er hat ihn nicht töten wollen, ich
schätze, er hat geglaubt, daß er es nicht fertigbringt. Immerhin sind sie
Zwillingsbrüder. Aber jetzt, wo er gesehen hat, daß dieser Plan nicht aufgeht –
ihr habt Wilhelm, also den Makler, wieder freigelassen – hat er das Gefühl, er muß
das Jüngste Gericht selbst in die Hand nehmen.«
»Während der Makler mit dem gleichen Plan unterwegs ist«, ergänzte
Christian. »Er hat Joe zu dir geschickt, um Carlos zu finden. Wenn er ihn
gefunden hat, wird er ihn umbringen und ihm alles in die Schuhe schieben: die
Morde an den Kindern zu Recht, den Kinderhandel vermutlich auch, und die Morde
an Scout und Nicki sowieso. Und er ist aus dem Schneider und wäscht seine
schmutzigen Hände in Unschuld.«
»Wir müssen sie finden, zumindest einen von beiden«, sagte Eberhard.
»Detering besitzt ein Wochenendhaus auf Amrum. Es ist auf seinen
Schwager eingetragen. Vielleicht sollten wir da mal nachsehen. Seine Frau
meinte jedenfalls,
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