Der beste Tag meines Lebens
sein Notizbuch hervor und einen neuen grünen Tintenschreiber. Sofort begann er zu schreiben:
7 : 58 Uhr. Parkplatz der West Valley Highschool. In der Schule fast so viel los wie tagsüber, nur noch mehr Menschen, weil 1 , 6 Eltern pro Schüler. Aula wird überfüllt sein, laut. Wahrscheinlich muffig.
Colin hatte in allen drei Punkten recht.
Er mochte absolut keine Aulas, weil es dort voll und laut war und schlecht roch. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, damit umzugehen, indem er die Augen schloss, durch den Mund atmete und die misstönenden Stimmen zu einer Art weißem Rauschen zusammenfließen ließ. Bei den üblichen Preisverleihungen gestaltete sich das allerdings schwierig, weil Colin unvermeidlich irgendwann genötigt war, aufzustehen und die Anerkennung für sein soziales Engagement innerhalb der Schulgemeinschaft, eine besondere Anstrengung oder schulische Leistungen entgegenzunehmen. Nur wenn er sich so schnell wie möglich zur Bühne und von dort wieder zurück auf seinen Platz begab, war es nicht allzu schlimm.
Dr. Doran sprach schon seit fast zehn Minuten zu Eltern, Lehrern und ein paar vereinzelten Schülern. Wobei sie das obligatorische Einfühlungsvermögen zeigte sowie Beteuerungen und Appelle zum Zusammenhalt von sich gab. Das meiste davon blendete Colin einfach aus. Er beschäftigte sich mit wichtigeren Dingen. Vor allem fragte er sich, wem die Waffe gehört haben mochte und wer so unachtsam gewesen sein mochte, sie auf den Boden fallen zu lassen, und ob das tatsächlich ein und dieselbe Person gewesen sein mochte.
»Und wenn alle die Nerven bewahren«, schloss Dr. Doran, »werden wir das auch hinkriegen.«
Colin hörte halblautes Gemurmel, was bedeutete, dass im Publikum schon andere Gespräche geführt wurden. Seine Eltern sahen einander nur an, doch Colin fiel es schwer, ihr Stirnrunzeln zu interpretieren.
»Das soll alles sein?«, rief eine Frauenstimme mitten aus der Menge.
Colin richtete sich auf seinem Platz auf, um sehen zu können, von wem die Frage kam. Die Mühe hätte er sich sparen können – jetzt erhob sich die Frau unaufgefordert von ihrem Platz. »Ein paar gefühlslastige Seminare, eine Woche lang Cops auf dem Campus, und dann hoffen Sie, alles renkt sich wieder ein?«, fragte sie.
Dr. Doran musterte die Frau eingehend, und Colin merkte, wie sich der Blick der Direktorin an dem Jungen neben ihr festsaugte: Rudy Moore.
Rudy steckte in einem gebügelten Button-down-Hemd mit konservativer Seidenkrawatte. Sein Haar sah feucht aus, was ein Hinweis darauf war, dass er zwischen Schulschluss und Beginn der Versammlung noch geduscht hatte. Das fand Colin seltsam, ohne dass er genau hätte sagen können, warum.
»Ich versichere Ihnen«, erwiderte Dr. Doran gelassen, »dass wir das Ganze sehr ernst nehmen. Trotzdem möchte ich Sie daran erinnern, dass die West Valley High bis zu diesem Vorfall die besten Sicherheitsratings im ganzen Bezirk hatte.«
Rudy stieß seine Mutter an, damit sie sich zu ihm herunterbeugte, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Mrs. Moore schaute wieder zu Dr. Doran. »Sie meinen, letztes Jahr, als es noch einen anderen Direktor gab.«
Ein unbehagliches Schweigen breitete sich in der Aula aus. Dr. Doran schien noch um eine überlegte Antwort zu ringen, als ein Mann aus der Menge das Wort ergriff. Colin erkannte die Stimme sofort. Der Mann war sein Vater, und er war aufgestanden.
»Also«, sagte Mr. Fischer, »ich weiß nichts über das letzte Jahr oder andere Direktoren. Darum geht es hier doch gar nicht, und es bringt nichts, damit zu argumentieren.«
Die letzte Bemerkung war direkt gegen Mrs. Moore gerichtet. Frostig starrte diese ihn an.
»Aber davon zu reden, wie die Dinge vor diesem Zwischenfall standen, das ist so, als würde man sagen, die Titanic habe die höchsten Sicherheitsstandards unter allen Schiffen auf dem Atlantik erfüllt, bevor sie mit dem Eisberg kollidierte. [7] «
Hier und da wurde gelacht. Selbst Dr. Doran lächelte. Colin sah auch seine Mutter lächeln – doch ihr Lächeln war anders als das von Dr. Doran oder irgendjemand anderem. Nicht AMÜSIERT , sondern STOLZ .
»Selbst ein singulärer Vorfall ist einer zu viel«, fuhr er fort. »Und es ist ein Wunder, dass diese Kugel in der Decke gelandet ist und nicht im Körper eines Kindes.«
Zustimmendes Gemurmel drang an Colins Ohren, denn andere Eltern begannen, entweder für Rudys Mutter oder Colins Vater Partei zu ergreifen.
»Wir wissen doch alle, woher
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