Der Bestseller
daß das Leben eines Singles seine Vorzüge hat. Zum Beispiel den, daß ich es mir, ein paar Kissen im Rücken, im Bett gemütlich machen, die Nachttischlampe anknipsen, einen Schwenker mit Courvoisier in der Hand halten und ein Manuskript lesen kann, in diesem Fall das Manuskript, das Sidney mir gegeben hatte.
Ich nahm die ersten Seiten zur Hand.
Der Eismann. Schöner Titel. »Von Sarah Goodall.« Nie von ihr gehört, wahrscheinlich war es ihr erster Versuch. Ich fragte mich, wo das Buch wohl spielte. In Kalifornien? Im südlichen Teil des Staates hatte Sue Grafton bereits ihren Claim abgesteckt. Chicago? Das war Sarah Paretskys Revier. Richmond konnte man ebenfalls vergessen, denn dank Patricia D. Cornwell hatte Kay Scarpetta den Staat Virginia in ihrer Arzttasche. Es wurde langsam schwierig, eine Stadt zu finden, in der nicht schon irgendein männlicher oder weiblicher Privatdetektiv sein Wesen treibt. In Boston gibt es mindestens zwei, in New York ein halbes Dutzend oder mehr. Und war da nicht auch einer in San Francisco? Ein schwuler Detektiv, wenn ich mich nicht irre.
Ich las weiter.
In einer kalten Dezembernacht ist St. Paul, Minnesota, ungefähr so anheimelnd wie das Leichenschauhaus von Ramsey County. Bei diesem Wetter konnte nur ein Dummkopf oder jemand, der wie ich an einem Fall arbeitete, in der South Side unterwegs sein. Selbst bei zwölf Grad unter Null konnte ich die Schlachthöfe riechen. Graupel peitschte mir ins Gesicht, bis mir die Augen tränten, so daß ich kaum noch etwas sehen konnte.
Ich heiße P. V. Knudsen und bin berechtigt, Ermittlungen durchzuführen. Ich bin so etwas wie ein privater Sicherheitsdienst. Das »P« steht für Paula, einen Namen, den ich nicht sehr gerne höre, das »V« für Violet, einen Namen, den ich noch weniger mag. Ich bin fünfunddreißig und ganz gut erhalten. Ich war zweimal verheiratet. Mein erster Mann hat sich mit meiner besten Freundin davongemacht, meinen zweiten habe ich rausgeschmissen, nachdem ich ihn dabei erwischt hatte, daß er vor der Groveland-Park-Schule pcp verkaufte. Wie nicht anders zu erwarten, habe ich nach zwei Reinfällen nicht mehr viel Vertrauen zu den männlichen Exemplaren meiner Spezies. Es soll Vogelarten geben, die ihr Leben lang monogam sind; vielleicht ist die Einrichtung der Ehe für sie geschaffen worden.
Der Wind war eisig. Obwohl ich meinen dicksten Parka angezogen hatte, fror ich an den Armen, und ich wußte, daß meine Handschuhe mich nicht vor Frostbeulen bewahren würden. Ich steckte die Rechte unter meine linke Achsel, wo ich die beruhigende Ausbuchtung meines Schulterhalfters spüren konnte. Ich hatte meine 380er Beretta dabei. Was mir an dieser Pistole gefällt, sind ihr Griff, der sich perfekt in meine Hand schmiegt, und die Tatsache, daß sie ein Doppelmagazin mit dreizehn Patronen aufnehmen kann. Ich gehe mindestens einmal im Monat mit einer Freundin, die bei der Polizei arbeitet, auf den Schießstand. Auf dreißig Meter Entfernung treffe ich noch genau ins Ziel. Man weiß ja nie, wann das Ziel mal ein Bösewicht sein wird, der einen gerade wegputzen will.
Normalerweise trage ich keine Pistole, aber heute nacht verfolgte ich jemanden durch den dunkelsten und einsamsten Teil der Stadt. Bei dem Fall, an dem ich arbeitete, ging es um Industriespionage.
Es hatte damit angefangen, daß ein Mann namens Edgar Ayres mich sprechen wollte. Das war kurz nach Thanksgiving, und mir war schmerzlich bewußt, daß mein Kontostand tief im Keller war.
Als Ayres mich anrief, war ich daher bereit, jeden einigermaßen guten Auftrag anzunehmen, solange ich mich auf nichts Illegales einlassen mußte...
Ich war fasziniert genug, um weiterzulesen. Ich hätte nur zu gern eine Serie mit einer guten weiblichen Detektivin gehabt, und das hier war vielversprechend. Warum dieses Genre so beliebt ist? Fragen Sie die Schwesternschaft der Krimiautorinnen. Ich weiß nur, daß sowohl Männern als auch Frauen die Vorstellung von einer Frau zu gefallen scheint, die eine Pistole trägt und Karateschläge austeilt — und je hartgesottener sie ist, desto besser.
Um Raymond Chandler zu zitieren: »Durch diese schäbigen Straßen muß eine Frau gehen, die selbst nicht schäbig ist, die eine reine Weste hat und keine Angst. Sie muß eine ganze Frau sein und eine gewöhnliche Frau — und zugleich doch eine ungewöhnliche auch. Sie muß der beste Mensch auf der Welt sein und ein Mensch, der gut genug ist für jede Welt.« Na ja, ungefähr so.
Als ich
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