Der Besuch der alten Dame (German Edition)
ich lebte, fast siebzig Jahre. Sauber die alten Gassen, vieles schon renoviert. Ein grauer Rauch über den Kaminen, und Geranien vor den Fenstern, Sonnenblumen, Rosen in den Gärten beim Goethetor, Kinderlachen, Liebespaare überall. Modern dieser Neubau am Brahmsplatz.
FRAU ILL Der Kaffee-Hodel läßt bauen.
DIE TOCHTER Der Arzt mit seinem Mercedes 300.
ILL Die Ebene, die Hügel dahinter, heute wie vergoldet. Gewaltig die Schatten, in die wir tauchen, und dann wieder das Licht. Wie Riesen die Krane der Wagnerwerke am Horizont und die Schlote von Bockmann.
DER SOHN Die Stadt will sie kaufen.
ILL Wie?
DER SOHN lauter Die Stadt will sie kaufen. Er tutet.
FRAU ILL Komische Fahrzeuge.
DER SOHN Messerschmidts. Jeder Lehrling muß so etwas anschaffen.
DIE TOCHTER C’est terrible.
FRAU ILL Ottilie nimmt einen Fortbildungskurs in Französisch und Englisch.
ILL Praktisch. Küblers Schnapspinte. War schon lange nicht mehr draußen.
DER SOHN Wird ein Freßlokal.
ILL Du mußt lauter reden bei dem Tempo.
DER SOHN lauter Wird ein Freßlokal. Natürlich Stocker. Überholt mit seinem Buick alles.
DIE TOCHTER Ein Neureicher.
ILL Fahr nun durch die Niederung von Pückenried. Am Moor vorbei und durch die Pappelallee um das Jagdschlößchen des Kurfürsten Hasso herum. Wolkenungetüme am Himmel, übereinandergetürmt wie im Sommer. Ein schönes Land, überschwemmt vom Abendlicht. Seh es heute wie zum ersten Mal.
DIE TOCHTER Eine Stimmung wie bei Adalbert Stifter.
ILL Wie bei wem?
FRAU ILL Ottilie studiert auch Literatur.
ILL Vornehm.
DER SOHN Hofbauer mit seinem Volkswagen. Kommt von Kaffigen zurück.
DIE TOCHTER Mit den Ferkeln.
FRAU ILL Karl steuert sicher. Elegant wie er jetzt die Kurve schneidet. Man braucht keine Angst zu haben.
DER SOHN Erster Gang. Die Straße steigt.
ILL Kam immer außer Atem, wenn ich da hinaufmarschierte.
FRAU ILL Froh, daß ich meinen Pelzmantel habe. Es wird kühl.
ILL Du hast dich verfahren. Hier geht’s nach Beisenbach. Mußt zurück und dann links in den Konradsweilerwald.
Die Vier kommen mit der Holzbank, nun im Frack, markieren Bäume.
DER ERSTE Wieder sind wir Tannen, Buchen.
DER ZWEITE Specht und Kuckuck, scheues Reh.
DER DRITTE Efeudome, Moderdunkel.
DER VIERTE Vorweltstimmung, oft besungen.
Der Sohn tutet.
DER SOHN Wieder ein Reh. Läuft gar nicht von der Straße, das Vieh.
Der Dritte springt davon.
DIE TOCHTER Zutraulich. Wird nicht mehr gewildert.
ILL Halt an unter diesen Bäumen.
DER SOHN Bitte.
FRAU ILL Was willst du denn?
ILL Durch den Wald gehen. Erhebt sich. Schön das Läuten der Glocken von Güllen her. Feierabend.
DER SOHN Vier Glocken. Erst jetzt tönt’s gemütlich.
ILL Gelb alles, nun ist der Herbst auch wirklich da. Laub am Boden wie Haufen von Gold. Er stampft im Wald.
DER SOHN Wir warten unten bei der Güllenbrücke.
ILL Nicht nötig. Ich gehe durch den Wald ins Städtchen. Zur Gemeindeversammlung.
FRAU ILL Dann fahren wir nach Kalberstadt, Fredi, und gehen in ein Kino.
DIE TOCHTER So long, Daddy.
FRAU ILL Auf bald! Auf bald!
Die Familie verschwindet mit den Stühlen. Ill schaut ihr nach. Er setzt sich auf die Holzbank, die sich links befindet.
Windesrauschen. Von rechts kommen Roby und Toby mit der Sänfte, in der sich Claire Zachanassian in ihrem gewohnten Kleid befindet. Roby trägt eine Gitarre auf dem Rücken. Neben ihr schreitet ihr Gatte IX , Nobelpreisträger, groß, schlank, graumelierte Haare und Schnurrbart. (Kann vom immer gleichen Schauspieler dargestellt werden.) Dahinter der Butler.
CLAIRE ZACHANASSIAN Der Konradsweilerwald, Roby und Toby, haltet mal an.
Claire Zachanassian steigt aus der Sänfte, betrachtet den Wald durch das Lorgnon, streicht dem Ersten über den Rücken.
CLAIRE ZACHANASSIAN Borkenkäfer. Der Baum stirbt ab. Sie bemerkt Ill. Alfred! Schön, dich zu treffen. Besuche meinen Wald.
ILL Gehört dir der Konradsweilerwald denn auch?
CLAIRE ZACHANASSIAN Auch. Darf ich mich zu dir setzen?
ILL Aber bitte. Ich habe eben von meiner Familie Abschied genommen. Gehn ins Kino. Karl hat sich einen Wagen angeschafft.
CLAIRE ZACHANASSIAN Fortschritt. Sie setzt sich rechts neben Ill.
ILL Ottilie nimmt einen Kurs für Literatur. Dazu Englisch und Französisch.
CLAIRE ZACHANASSIAN Siehst du, der Sinn für Ideale ist ihnen doch gekommen. Komm Zoby, verneig dich. Mein neunter Mann. Nobelpreisträger.
ILL Sehr erfreut.
CLAIRE ZACHANASSIAN Er ist besonders eigenartig, wenn er nicht denkt.
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