Der Besuch der alten Dame (German Edition)
betrunken, Herr Lehrer. Sie sollten sich schämen!
DER LEHRER Schämen? Du solltest dich schämen, Weib, denn du schickst dich an, deinen Gatten zu verraten!
DER SOHN Maul halten!
DER VIERTE Raus!
DER LEHRER Das Verhängnis ist bedenklich gediehen! Wie beim Ödipus: angeschwollen wie eine Kröte!
DIE TOCHTER flehend Herr Lehrer!
DER LEHRER Du enttäuschest mich, Töchterchen. Es wäre an dir zu reden, und nun muß es dein alter Lehrer tun mit Donnerstimme!
DER MALER reißt ihn vom Faß Du willst mir wohl meine künstlerische Chance zerstören! Einen Christus habe ich gemalt, einen Christus!
DER LEHRER Ich protestiere! Angesichts der Weltöffentlichkeit! Ungeheuerliche Dinge bereiten sich vor in Güllen!
Die Güllener stürzen sich auf ihn, doch kommt in diesem Augenblick Ill von rechts in alten zerschlissenen Kleidern.
ILL Was ist los in meinem Laden?
Die Güllener lassen vom Lehrer und starren Ill erschrocken an. Totenstille.
DER LEHRER Die Wahrheit, Ill. Ich erzähle den Herren von der Presse die Wahrheit. Wie ein Erzengel erzähle ich, mit tönender Stimme. Er schwankt. Denn ich bin ein Humanist, ein Freund der alten Griechen, ein Bewunderer Platos.
ILL Schweigen Sie.
DER LEHRER Aber die Menschlichkeit –
ILL Setzen Sie sich.
Schweigen.
DER LEHRER ernüchtert Setzen. Die Menschlichkeit soll sich setzen. Bitte – wenn auch Sie die Wahrheit verraten. Er setzt sich taumelnd auf das Faß.
ILL Verzeihen Sie. Der Mann ist betrunken.
PRESSEMANN I Herr Ill?
ILL Was wollen Sie von mir?
PRESSEMANN I Wir sind glücklich, daß wir Sie nun doch treffen. Brauchen einige Aufnahmen. Dürfen wir bitten? Er schaut sich um. Lebensmittel, Haushaltgegenstände, Eisenwaren – Am besten: Verkaufen Sie das Beil.
ILL zögernd Das Beil?
PRESSEMANN I Dem Metzger. Er hat es ja schon in der Hand. Geben Sie das Mordinstrument mal her, guter Mann. Er nimmt dem Ersten das Beil aus der Hand. Demonstriert Sie nehmen das Beil, wiegen es in der Hand, machen ein nachdenkliches Gesicht, sehen Sie, so; und Sie, Herr Ill, neigen sich über den Ladentisch, reden dem Metzger zu. Bitte. Er arrangiert die Stellung. Natürlicher, meine Herren, ungezwungener.
Die Pressemänner knipsen.
PRESSEMANN I Schön, sehr schön.
PRESSEMANN II Darf ich bitten, den Arm um die Schulter der Gemahlin zu legen. Der Sohn links, die Tochter rechts. Und nun bitte, strahlen vor Glück, strahlen, strahlen, zufrieden, innerlich, stillvergnügt strahlen.
PRESSEMANN I Großartig gestrahlt.
PRESSEMANN II Gestorben.
Von links vorne rennen einige Photographen nach hinten links über die Bühne. Einer ruft in den Laden hinein.
DER PHOTOGRAPH Die Zachanassian hat einen Neuen. Gehen im Konradsweilerwald spazieren.
PRESSEMANN II Einen Neuen!
PRESSEMANN I Das gibt ein Titelbild für ›Life‹.
Die beiden Pressemänner rennen aus dem Laden. Schweigen. Der Erste hält noch immer das Beil in der Hand.
DER ERSTE erleichtert Glück gehabt.
DER MALER Du mußt entschuldigen, Schulmeister. Wenn wir die Angelegenheit noch gütlich beilegen wollen, darf die Presse nichts erfahren. Kapiert?
Er geht hinaus. Der Zweite folgt ihm, bleibt aber noch vor Ill stehen, bevor er hinausgeht.
DER ZWEITE Klug, äußerst klug, keinen Unsinn zu schwatzen.
DER DRITTE Einem Halunken wie dir würde man ja auch kein Wort glauben. Er geht.
Der Vierte spuckt aus, geht ebenfalls.
DER ERSTE Nun kommen wir noch in die Illustrierten, Ill.
ILL Eben.
DER ERSTE Werden berühmt.
ILL Sozusagen.
DER ERSTE Eine Partagas.
ILL Bitte.
DER ERSTE Schreiben’s auf.
ILL Selbstverständlich.
DER ERSTE Offen gesagt: Was Sie Klärchen angetan haben, tut nur ein Schuft. Er will gehen.
ILL Das Beil, Hofbauer.
Der Erste zögert, gibt ihm dann das Beil zurück, geht ab. Im Laden Schweigen. Der Lehrer sitzt immer noch auf seinem Faß.
DER LEHRER Sie müssen entschuldigen. Ich habe einige Steinhäger probiert, so zwei oder drei.
ILL In Ordnung.
Die Familie geht nach rechts hinaus.
DER LEHRER Ich wollte Ihnen helfen. Aber man schlug mich nieder, und auch Sie wollten es nicht. Ach, Ill. Was sind wir für Menschen. Die schändliche Milliarde brennt in unseren Herzen. Reißen Sie sich zusammen, kämpfen Sie um Ihr Leben, setzen Sie sich mit der Presse in Verbindung, Sie haben keine Zeit mehr zu verlieren.
ILL Ich kämpfe nicht mehr.
DER LEHRER verwundert Sagen Sie mal, Sie haben wohl ganz den Verstand verloren vor Angst?
ILL Ich sah ein, daß ich kein
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