Der Besucher - Roman
versuchen, den Jammer noch weiter zu schüren, stieg ich zu meinem Schlafzimmer unter dem Dach hinauf und suchte alles hervor, was ich auf Hundreds bekommen hatte oder was mich irgendwie mit dem Haus verband. Da waren natürlich die Gedenkmünze vom Empire Day und das Foto in Sepiatönen, das Mrs. Ayres mir bei meinem ersten Besuch geschenkt hatte und das möglicherweise meine Mutter zeigte – oder auch nicht. Da war auch die Elfenbeinpfeife, die ich aus dem Sprachrohr in der Küche gezogen hatte, damals im März. Ich hatte sie an jenem Tag zufällig in meine Westentasche gesteckt und sie versehentlich mit nach Hause genommen. Seitdem hatte ich sie in einer Schublade zusammen mit meinen Hemdknöpfen und Manschettenknöpfen aufbewahrt, doch nun holte ich sie heraus und legte sie auf meinen Nachttisch, neben das Foto und die Gedenkmünze. Die Schlüssel zum Park und zum Haus selbst legte ich ebenfalls dazu, und daneben stellte ich das Chagrinlederkästchen mit Carolines Ring.
Eine Gedenkmünze, ein Foto, eine Pfeife, ein paar Schlüssel, ein Ehering, der nie getragen werden sollte. Sie bildeten die magere Ausbeute meiner Zeit auf Hundreds: eine seltsame kleine Sammlung. Noch vor einer Woche hätten diese Gegenstände eine Geschichte erzählen können, in der ich als Held auftauchte. Nun waren sie nur noch eine Reihe trauriger Überreste. Ich starrte sie an und versuchte, einen Sinn darin zu entdecken, doch es gelang mir nicht.
Die Schlüssel befestigte ich wieder an meinem eigenen Schlüsselbund: ich wollte einfach noch nicht darauf verzichten. Die anderen Dinge jedoch versteckte ich, als würde ich mich ihrer schämen. Ich ging früh zu Bett, und am nächsten Morgen nahm ich die alten eintönigen Pflichten und Gewohnheiten wieder auf, denen ich nachgegangen war, bevor mich das Leben auf Hundreds in seinen Bann zog. An diesem Nachmittag erfuhr ich, dass Hundreds Hall und seine Ländereien durch einen ortsansässigen Makler zum Verkauf angeboten wurden. Makins, der Milchbauer, war vor die Wahl gestellt worden, die Farm entweder zu verlassen oder sie zum Eigenbetrieb zu kaufen. Er hatte sich dafür entschieden zu gehen, denn er besaß nicht genügend Kapital, um auf eigene Faust in das Geschäft einzusteigen. Der unerwartete Verkauf hatte ihn in eine schwierige Lage gebracht, und es hieß, er sei sehr verbittert darüber. Im Laufe der Woche sickerten noch weitere Informationen durch; man sah Lastwagen auf das Grundstück des Herrenhauses fahren, die nach und nach das Mobiliar abtransportierten. Die meisten Leute nahmen natürlich an, dass es sich dabei um ein gemeinsames Vorhaben von Caroline und mir handelte, und ich hatte ein paar nervenaufreibende Tage, in denen ich wiederholt erklären musste, dass die Hochzeit abgesagt worden sei und Caroline die Gegend allein verlassen würde. Dann aber mussten sich die Neuigkeiten herumgesprochen haben, denn schlagartig hörten die Fragen auf, doch das betretene Schweigen, das die Leute dann zeigten, war beinahe noch schwerer zu ertragen. Ich stürzte mich wieder in die Arbeit im Krankenhaus. Zu jenem Zeitpunkt gab es eine ganze Menge zu tun. Hundreds Hall stattete ich keine weiteren Besuche ab, und ich benutzte auch die Abkürzung durch den Park nicht mehr. Caroline sah ich nicht, obwohl ich erschreckend oft an sie dachte und von ihr träumte. Schließlich hörte ich von Helen Desmond, dass sie am letzten Tag im Mai die Grafschaft ohne großes Aufhebens verlassen wollte.
Danach wollte ich nur noch eines, nämlich dass der Monat so rasch und schmerzlos vorüberginge wie möglich. An der Wand meines Sprechzimmers hing ein Kalender, und als wir den Hochzeitstermin festgelegt hatten, hatte ich mir das Datum dort notiert und das Feld für den Siebenundzwanzigsten mit lustigen kleinen Kritzeleien verziert. Nun hielten mich Stolz oder auch Sturheit davon ab, den Kalender zu entfernen; ich wollte den Tag aussitzen: Vier Tage danach würde Caroline ganz aus meinem Leben verschwinden, und ich hatte das abergläubische Gefühl, dass ich ein neuer Mensch wäre, wenn ich erst mal das Kalenderblatt vom Juni aufschlagen könnte. Doch bis dahin beobachtete ich mit einer unguten Mischung aus Sehnsucht und Furcht, wie das tintenverzierte Feld immer näher kam. In der letzten Maiwoche dann wurde ich immer zerstreuter, war nahezu unfähig, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und schlief wieder schlecht.
Der Tag selbst zog ziemlich unspektakulär vorüber. Um ein Uhr – dem Zeitpunkt,
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