Der Besucher - Roman
ebenfalls. »Nein, nein, das braucht Ihnen nicht leidzutun. Ich wünschte, ich könnte irgendwas tun, um Sie zu beruhigen.«
Doch inzwischen war unser Dialog in nichtssagende Höflichkeiten übergegangen. Ich folgte ihm in die Eingangshalle, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm, dass er mir seine Zeit geopfert hatte. An der offenen Tür blickte er in den hellen Abendhimmel hinauf, und wir tauschten ein paar Floskeln über die länger werdenden Tage aus. Während ich zu meinem Auto zurückging, warf ich einen Blick in sein Esszimmerfenster und sah, wie er zu Tisch zurückkehrte. Offenbar erklärte er Frau und Töchtern den Grund für meinen Besuch – er schüttelte den Kopf, tat mich mit einem verständnislosen Achselzucken ab und setzte sich wieder an seinen Platz.
Ich verbrachte eine zweite schreckliche Nacht, der ein weiterer unruhiger Tag folgte; die Woche zog sich quälend dahin, bis ich das Gefühl hatte, an meinem eigenen Schmerz fast zu ersticken. Bisher hatte ich mich noch niemandem anvertraut; im Gegenteil, ich hatte nach außen Fröhlichkeit vorgetäuscht, denn inzwischen hatten die meisten meiner Patienten von der anstehenden Hochzeit gehört und wollten mir gratulieren und Einzelheiten erfahren. Samstagabend konnte ich es jedoch nicht länger ertragen. Ich ging zu David und Anne Graham, saß in ihrem kleinen, glücklichen Heim auf dem Sofa, den Kopf in die Hände gestützt, und vertraute ihnen die ganze Geschichte an.
Sie waren sehr nett und verständnisvoll. Graham sagte sofort: »Aber das ist doch verrückt! Caroline hat das bestimmt nicht so gemeint. Ach, das ist nur das typische Muffensausen vor der Hochzeit! Bei Anne war es ganz genauso. Ich weiß nicht, wie oft sie mir ihren Verlobungsring zurückgeben wollte – wir haben ihn schon den ›Bumerang‹ genannt! Weißt du noch, Liebling?«
Anne lächelte, wirkte jedoch besorgt. Bei meinem Bericht hatte ich ein paar von Carolines Äußerungen wortwörtlich wiedergegeben, und offenbar hatten diese Formulierungen sie stärker beeindruckt als ihren Mann.
»Ich bin sicher, du hast recht«, sagte sie nachdenklich. »Allerdings ist mir Caroline nie besonders nervös oder ängstlich vorgekommen. Andererseits hat sie eine so schlimme Zeit hinter sich, und nun ist sie da draußen … ohne Mutter. Ich wünschte, ich hätte mir mehr Mühe gegeben, mich mit ihr anzufreunden. Aber irgendwie scheint sie auch keine Freundschaften zu suchen. Trotzdem wünschte ich, ich hätte mich stärker bemüht.«
»Es ist doch noch nicht zu spät«, sagte Graham. »Warum fährst du nicht morgen mal hin und redest mit ihr – legst ein gutes Wort für Faraday ein?«
Sie blickte mich an. »Hättest du das gern?«
Sie sprach ohne großen Enthusiasmus, wie mir schien, doch inzwischen griff ich nach jedem Strohhalm.
»Ach, Anne! Ich wäre dir unendlich dankbar!«, sagte ich. »Würdest du das wirklich tun? Ich bin mit meiner Weisheit am Ende.«
Sie legte ihre Hand auf meine und erwiderte, dass sie gern helfen würde. »Da siehst du’s, Fararay«, meinte Graham. »Meine Frau könnte selbst Stalin um den Finger wickeln! Du wirst sehen, alles renkt sich noch ein!«
Er sprach so überzeugt, dass ich mich fast schämte, überhaupt ein solches Theater gemacht zu haben. Zum ersten Mal seit Tagen schlief ich wieder gut, wachte am Sonntagmorgen auf und fühlte mich ein bisschen weniger bedrückt. Später fuhr ich Anne in meinem Auto nach Hundreds. Ich ging selbst nicht ins Haus, sondern sah nervös vom Auto aus zu, wie sie die Vordertreppe hinaufging und an der Tür läutete. Betty öffnete und ließ Anne wortlos ins Haus, und nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, rechnete ich fast damit, dass sie gleich darauf wieder herauskommen würde, doch sie blieb fast zwanzig Minuten im Haus – so lange, dass ich alle Phasen der Angst und Unruhe durchleben konnte und schon anfing, leisen Optimismus zu verspüren.
Doch dann trat Anne wieder vor die Tür – begleitet von einer ernst dreinblickenden Caroline, die ausdruckslos zum Auto herüberstarrte, ehe sie wieder in der rosigen Dämmerung der Eingangshalle verschwand und die Tür hinter sich schloss – und mein Mut sank.
Anne stieg schweigend ins Auto. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Es tut mir so leid. Caroline scheint ihrer Sache wirklich sicher zu sein. Sie bedauert die ganze Angelegenheit zwar, und sie hat das Gefühl, dass sie dich viel zu lange hingehalten hat. Aber sie ist ziemlich entschlossen.«
»Bist
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