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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Handschuhe noch ein wenig gerade, ja, so … Noch immer keine Spur von Roderick? Ich hoffe, er trödelt nicht extra herum. Heute Nachmittag hat er sich über seine Abendgarderobe beklagt, die Sachen säßen alle zu locker. Ich habe ihm gesagt, er kann froh sein, dass er überhaupt noch Abendgarderobe besitzt. – Danke Dr. Faraday, ja, einen Sherry nehme ich gern.«
    Ich reichte ihr das Glas, und sie nahm es mit einem zerstreuten Lächeln entgegen.
    »Können Sie sich das vorstellen?«, sagte sie. »Es ist schon so lange her, dass wir das letzte Mal Gäste hatten, dass ich regelrecht nervös bin!«
    »Nun, man sieht es Ihnen jedenfalls nicht an!«, erwiderte ich.
    Sie hörte gar nicht zu. »Ich wäre sehr viel beruhigter, wenn ich meinen Sohn an der Seite hätte. Wissen Sie, manchmal glaube ich, dass er völlig vergisst, dass er der Herr im Hause ist!«
    Nach allem, was ich von Roderick in den letzten paar Wochen gesehen hatte, schien es mir eher unwahrscheinlich, dass er seine Verantwortung für Hundreds je vergaß, und Carolines Gesichtsausdruck zeigte mir, dass sie offenbar den gleichen Gedanken hatte. Doch Mrs. Ayres ließ immer noch unruhig ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie trank einen einzigen Schluck aus ihrem Glas, setzte es dann ab und ging zur Anrichte hinüber, besorgt, dass möglicherweise nicht genügend Sherryflaschen herausgestellt worden waren. Danach überprüfte sie die Zigarettenkisten und testete die Flammen der Tischfeuerzeuge, eine nach der anderen. Dann führte ein plötzlicher Rauchstoß aus dem Kamin sie hinüber an die Feuerstelle, wo sie sich über den nicht gekehrten Kaminschacht und den Korb mit feuchtem Feuerholz aufregte.
    Doch es blieb keine Zeit, neue Scheite zu besorgen, denn schon hörten wir aus der Ferne Stimmen durch den Flur herannahen, und die ersten Gäste tauchten auf: Bill und Helen Desmond, ein Ehepaar aus Lidcote, das ich flüchtig kannte; ein Mr. Rossiter nebst Gattin, die ich nur vom Sehen kannte; und eine alte Jungfer, Miss Dabney. Sie hatten sich alle gemeinsam in das Auto der Desmonds gequetscht, um Benzin zu sparen. Sie klagten über das Wetter, und Betty war schwer beladen mit ihren nassen Mänteln und Hüten. Sie führte sie in den Saal; ihr Häubchen hatte sie inzwischen wieder gerade gerückt, und der Anflug von Gereiztheit schien vorüber. Als ich ihrem Blick begegnete, zwinkerte ich ihr verschwörerisch zu. Im ersten Moment blickte sie ganz erschreckt drein, doch dann senkte sie verlegen das Kinn und lächelte wie ein Kind.
    Keiner der Neuankömmlinge erkannte mich in meiner Abendgarderobe wieder. Rossiter war Richter im Ruhestand, Bill Desmond besaß weitläufige Ländereien; beide gehörten nicht zu der Art von Leuten, mit denen ich normalerweise Umgang hatte. Desmonds Frau erkannte mich als Erste.
    »Oh!«, sagte sie besorgt. »Ich hoffe doch, dass niemand unpässlich ist?«
    »Unpässlich?«, wiederholte Mrs. Ayres. Doch dann erklärte sie mit einem hellen gekünstelten Auflachen: »Aber nein! Der Doktor ist heute Abend unser Gast. Mr. und Mrs. Rossiter, Sie kennen Dr. Faraday sicher schon, nicht wahr? Und Sie, Miss Dabney?«
    Miss Dabney hatte ich tatsächlich schon ein- oder zweimal behandelt. Sie war etwas hypochondrisch veranlagt; die Art Patient, mit der ein Arzt normalerweise gutes Geld verdienen kann. Doch sie war eine »gnädige Frau« vom alten Schlag und ging ziemlich herablassend mit niedergelassenen Ärzten um. Vermutlich war sie überrascht, mir auf Hundreds mit einem Glas Rum in der Hand zu begegnen. Ihre Überraschung ging jedoch im allgemeinen Ankommenstrubel unter, denn jeder wollte ein paar lobende Worte über den Saal loswerden, Getränke wurden ausgeschenkt und herumgereicht, und da war noch Gyp, der sich freundlich von Gast zu Gast schnüffelte und sich hätscheln und tätscheln ließ.
    Dann bot Caroline Zigaretten an und rückte damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
    »Meiner Treu!«, sagte Mr. Rossiter galant, »und wer ist diese junge Schönheit?«
    Caroline neigte den Kopf. »Niemand anderes als die unscheinbare alte Caroline mit etwas Lippenstift, fürchte ich.«
    »Jetzt seien Sie aber nicht albern, meine Liebe«, sagte Mrs. Rossiter und nahm eine Zigarette aus der Kiste. »Sie sehen bezaubernd aus. Sie schlagen ganz nach Ihrem Vater, und der war ein sehr gut aussehender Mann.« Sie wandte sich an Mrs. Ayres: »Dem Colonel hätte es gefallen, den Saal so zu sehen, denken Sie nicht auch, Angela? Er hatte immer so viel für

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