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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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gefolgt war und offenbar »Verschreiben von Medikamenten« verstanden hatte, nahm an, dass Morley, genau wie ich, Mediziner sein müsse, was zu ein paar Irritationsmomenten führte. Mr. Morley lachte tolerant, als sich das Missverständnis aufklärte. Ich bemerkte, wie er mich musterte, während er an seinem Cocktail nippte und mich offenbar für ungenügend befand, so wie er eigentlich uns alle als uninteressant abtat, noch ehe zehn Minuten vergangen waren. Mrs. Ayres in ihrer Rolle als Gastgeberin schien jedoch wild entschlossen, ihm einen netten Empfang zu bereiten. »Sie müssen unbedingt die Desmonds kennen lernen, Mr. Morley«, hörte ich sie sagen, während sie ihn von einer Gruppe zur nächsten zog. Und als er wieder zu Mr. Rossiter und mir zurückgekehrt war, die vor dem Kamin standen, forderte sie uns auf: »Meine Herren, setzen Sie sich doch … Sie auch, Mr. Morley.«
    Sie nahm ihn am Arm und schien einen Moment lang unsicher, wo sie ihn platzieren sollte; schließlich führte sie ihn scheinbar beiläufig zum Sofa. Dort saß Caroline mit Mrs. Rossiter, doch das Sofa war recht breit. Mr. Morley zögerte einen Augenblick, dann ließ er sich mit schicksalsergebenem Gesichtsausdruck auf den freien Platz neben Caroline sinken. Während er sich setzte, beugte Caroline sich vor, um etwas an Gyps Halsband zu richten, doch die Bewegung wirkte so gezwungen, dass ich im Stillen dachte: Arme Caroline! Ich hatte vermutet, dass sie sich Gedanken machte, wie sie die Flucht ergreifen könnte. Doch dann rutschte sie wieder zurück und ich sah ihr Gesicht. Sie wirkte merkwürdig verlegen und fasste sich mit einer für sie untypisch femininen Geste ans Haar. Ich blickte von ihr zu Mr. Morley, dessen Haltung mir ebenfalls ziemlich gezwungen vorkam. Ich dachte an die viele Arbeit, die in die Vorbereitung des Abends geflossen war, und erinnerte mich an Carolines Reizbarkeit zu Beginn des Abends. Und mit dem merkwürdig düsteren Gefühl, hintergangen worden zu sein, verstand ich plötzlich, warum die Einladung organisiert worden war und was Mrs. Ayres – und offenbar auch Caroline – damit zu erreichen hofften.
    Noch während ich mit dieser Einsicht kämpfte, erhob sich Mrs. Rossiter vom Sofa.
    »Überlassen wir doch die jungen Leute ein bisschen sich selbst«, murmelte sie und warf ihrem Mann und mir einen schelmisch-wissenden Blick zu. Dann reichte sie mir ihr leeres Glas: »Dr. Faraday, wären Sie so gut und holen mir noch ein Gläschen Sherry?«
    Ich trug das Glas zur Anrichte hinüber und schenkte ihr Sherry ein. Währenddessen fiel mein Blick in einen der vielen Spiegel im Raum, und ich sah mich selbst in dem wenig schmeichelhaften Licht, mit der Flasche in der Hand. Mehr als je zuvor fühlte ich mich an einen kahl werdenden Lebensmittelhändler erinnert. Als ich Mrs. Rossiter das Glas zurückbrachte, sagte sie mit übertriebener Freundlichkeit: »Danke, ganz reizend von Ihnen!« Doch genau wie Mrs. Ayres vorhin lächelte sie, während ihr Blick sich längst von mir gelöst hatte. Und dann nahm sie das Gespräch mit ihrem Mann wieder auf.
    Vielleicht lag es an meiner eigenen trüben Stimmung, vielleicht lag es auch an dem besonderen gesellschaftlichen Schliff der Baker-Hydes, mit dem nichts und niemand hier es aufnehmen konnte, jedenfalls schien die Feier, die doch gerade erst in Schwung gekommen war, schon wieder ihren Glanz zu verlieren. Selbst der Saal erschien merkwürdigerweise deutlich weniger prächtig, seit die Familie aus Standish sich dort eingefunden hatte. Im Laufe des Abends beobachtete ich zwar, wie sie sich alle Mühe gaben, die Einrichtung zu bewundern. Sie lobten die Regency-Ausstattung, den Kronleuchter, die Tapete, die Decke, und vor allem Mrs. Baker-Hyde wanderte langsam mit anerkennendem Blick umher und betrachtete einen Gegenstand nach dem anderen. Doch der Saal war groß und lange nicht geheizt worden: Obwohl im Kamin ein ordentliches Feuer brannte, lag eine feuchte, kriechende Kälte in der Luft, die Mrs. Baker-Hyde gelegentlich zittern und sich die nackten Arme reiben ließ. Schließlich trat sie näher an den Kamin und gab vor, sie wolle sich ein paar zierliche, vergoldete Stühle näher anschauen, die rechts und links davon standen. Als sie erfuhr, dass es sich bei den Gobelinbezügen der Stühle noch um die Originalpolsterung aus den 1820 er Jahren handelte, die zusammen mit dem Bau des achteckigen Saales in Auftrag gegeben worden war, sagte sie: »Dachte ich’s mir doch! Was für ein

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