Der Besucher - Roman
Feste übrig. Ein phantastischer Tänzer, eine ganz großartige Haltung. Ich kann mich noch erinnern, dass ich Sie beide mal in Warwick habe tanzen sehen. Es war eine wahre Freude, Ihnen zuzusehen; wie Federn sind Sie dahingeschwebt. Die jungen Leute von heute scheinen die alten Tänze gar nicht mehr zu beherrschen … Und was diese neumodischen Tänze anbelangt – na ja, vermutlich zeigt sich da mein Alter, aber die modernen Tänze kommen mir immer so vulgär vor. Ein einziges Herumgehopse, fast wie in einer Irrenanstalt! Das kann doch nicht gesund sein. Was meinen Sie dazu, Dr. Faraday?«
Ich gab irgendeine nichtssagende Antwort, und wir unterhielten uns noch ein bisschen über das Thema, doch bald wendete sich das Gespräch wieder den großen Gesellschaften und Bällen zu, die in der Vergangenheit in der Grafschaft gegeben worden waren, und ich konnte nicht mehr viel dazu beitragen. »Das muss neunzehnhundertachtundzwanzig oder -neunundzwanzig gewesen sein«, hörte ich Miss Dabney über irgendeine besonders glanzvolle Veranstaltung sagen. Gerade dachte ich bitter an mein eigenes Leben in jenen Jahren zurück – ich wohnte als Medizinstudent in Birmingham in einer undichten Mansarde, die Dickens alle Ehre gemacht hätte, war ständig hungrig und erschöpft von der vielen Arbeit –, als Gyp plötzlich zu bellen begann. Caroline packte ihn am Halsband, damit er nicht aus dem Zimmer stürmte. Wir hörten Stimmen auf dem Flur herannahen, eine gehörte offenbar einem Kind, das gerade sagte: »Gibt es auch einen Hund?« –, und unser Gespräch verstummte. Eine kleine Gruppe tauchte in der Tür auf: zwei Männer in Straßenanzügen, eine gut aussehende Frau in einem leuchtenden Cocktailkleid und ein hübsches kleines Mädchen von etwa acht oder neun Jahren.
Die Anwesenheit des Mädchens überraschte uns alle. Sie entpuppte sich als die Tochter der Baker-Hydes, Gillian. Doch der zweite Mann war offenbar erwartet worden, jedenfalls von Mrs. Ayres. Ich hingegen hatte noch nichts von ihm gehört. Er wurde uns als Mrs. Baker-Hydes jüngerer Bruder, Mr. Morley, vorgestellt.
»Ich bin häufig am Wochenende hier bei Peter und Diana«, erklärte er, während er den anderen Gästen die Hand schüttelte, »also dachte ich mir, ich schaue mal vorbei. Aber wir haben keinen guten Start erwischt, scheint mir!« Er rief seinem Schwager zu: »Peter, du wirst noch des Landes verwiesen, alter Junge! So kannst du hier keine Schnitte machen!«
Er spielte auf ihre Straßenanzüge an, denn Bill Desmond, Mr. Rossiter und ich trugen – ganz alte Schule – festliche Abendgarderobe, während Mrs. Ayres und die anderen Damen in bodenlange Abendkleider gewandet waren. Doch die Baker-Hyde-Truppe schien nur zu bereit, die Verlegenheit darüber mit einem Lachen abzutun. Tatsächlich schafften sie es aus unerfindlichem Grund sogar, uns anderen das Gefühl zu vermitteln, als seien wir falsch angezogen. Nicht etwa, dass Mr. und Mrs. Baker-Hyde in irgendeiner Form herablassend gewesen wären. Im Gegenteil, ich muss sagen, dass ich sie an jenem Abend ausgesprochen liebenswürdig und höflich fand – allerdings waren sie von einem außergewöhnlichen Schliff umgeben, so dass ich mir gut vorstellen konnte, weshalb einige Ortsansässige sie vielleicht als abgehoben empfanden. Das kleine Mädchen strahlte ähnliches Selbstvertrauen aus wie seine Eltern und hatte offenbar vor, auf gleicher Ebene mit den Erwachsenen zu reden, doch im Grunde genommen war sie noch ein Kind. Zum Beispiel schien sie sich köstlich über Betty in ihrer Schürze und Haube zu amüsieren, und sie tat mit großem Brimborium so, als habe sie Angst vor Gyp. Als die Getränke herumgereicht wurden, gab man ihr Limonade, doch sie verlangte so lauthals nach Wein, dass ihr Vater ihr schließlich etwas aus seinem Glas abfüllte, und wir alteingesessenen Landbewohner sahen zugleich fasziniert und entsetzt zu, wie der gute Sherry in ihrem Glas verschwand.
Mrs. Baker-Hydes Bruder, Mr. Morley, war mir von Anfang an unsympathisch. Er war schätzungsweise siebenundzwanzig Jahre alt, trug zurückgegeltes Haar, eine randlose amerikanische Brille und ließ uns alle ziemlich rasch wissen, dass er für eine Londoner Werbeagentur arbeite, sich aber gerade einen Namen in der Filmindustrie mache – mit dem »Schreiben von Treatments«, wie er sich ausdrückte. Leider klärte er uns nicht weiter darüber auf, was ein »Treatment« eigentlich war, und Mr. Rossiter, der dem Gespräch nur teilweise
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