Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
Vom Netzwerk:
einen Western erinnert, eine Stimme singt den Tango Las Ciudades von Astor Piazzolla, werde ich bereits erwartet.
    Montserrat, die Freundin, steht am Gleis, eine Pappmachéfigur an ihrer Seite.
    Die ausgeschnittenen, hochkopierten Gesichtszüge von Corto Maltes: schwarz-weiß gezeichnet, mit Ohrring, herausstehenden Wangenknochen, den Blick in die Ferne gerichtet.
    Ich rufe, aber man hört mich nicht.
    Erst jetzt bemerke ich, dass auch Montse nur eine ausgeschnittene Figur ist, nur ein hochkopiertes, auf Karton geklebtes Foto.
    Ich habe Angst, da betreten plötzlich Schaffner das Großraumabteil. Sie wollen mein Ticket sehen, ich springe zur Seite und versuche zu fliehen. In der Hoffnung, aus dem Zug zu kommen, bevor sie mich fassen.
    Als ich davonlaufe, durch den Zug hetze, sehe ich Zubieta in einem Sechserabteil auf einem Sitz liegen. Er ist grau im Gesicht und fiebert.
    Ich frage mich, ob er diesen Anfall durchstehen wird.
    Dann wache ich auf.
     
    Als ich mich aufgerichtet habe, ist das Zimmer leer. Sonnenstrahlen fallen auf das Bettlaken und werfen an den Falten kleine helle Schatten. Benommen stehe ich auf und gehe die Wendeltreppe in die Wohnküche hinunter. Das Holz knirscht unter den Füßen. Ich frage mich, ob Zubieta wie im Traum etwas zugestoßen ist, ich eine schlechte Vorahnung hatte. Doch der Freund sitzt in eine Decke gehüllt neben Katharinas Vater am Tisch und frühstückt.
    Hoffentlich, denke ich, hat er nichts gesagt. Nichts, was Armins Verdacht wecken könnte.
    »Ausgeschlafen?«, fragt Katharinas Vater.
    »Wunderbar«, behaupte ich und betrachte Zubieta. Er scheint ihm gut zu gehen, doch ich traue seinen Rekonvaleszenzen nicht mehr. Das Hinterhältige an seiner Krankheit ist offensichtlich, dass das Fieber so schnell und unerwartet kommt, wie es verschwindet.
    »Und du?«, frage ich Zubieta. Er sitzt barfuß am Tisch, vor ihm dampft eine Kaffeetasse.
    »Alles wieder okay«, behauptet er.
    »Meinst du nicht, du solltest was anderes trinken?«
    »Kaffee ist gut für den Kreislauf.«
    »Wenn man am Vortag fast gestorben ist?«
    »So schlimm war’s nun auch wieder nicht.«
    Auf der Suche nach einem Verbündeten blicke ich Armin an, der sich jedoch auf seine Frühstücksbrötchen konzentriert. Katharina hat einmal behauptet, ihr Vater verwandele, seit er auf dem Land wohne und zu viel Zeit für sich habe, jede Mahlzeit in ein Ritual. Jeden Biss kaue er zwanzig Mal, weil sich, wie er glaube, nur so der Geschmack der Nahrung richtig entfalte. Tatsächlich hat mich, auch wenn er keine missionarischen Anwandlungen entwickelt und es unterlässt, andere von seinen Ernährungsregeln zu überzeugen, die Pedanterie dieses Essverhaltens während unseres Besuchs im August immer wieder zur Weißglut getrieben. Diesmal habe ich andere Probleme. Wie schon am Vorabend fällt es mir schwer, Katharinas Vater in die Augen zu blicken.
    »Entschuldige, dass wir dich gestern so überfallen haben.«
    Armin lächelt, er scheint die Ausgeglichenheit in Person. »Dafür lebt man auf dem Land – weil hier mehr Platz für Spontaneität ist. Früher, als es noch kein Telefon gab, haben wir alle so gelebt, und wenn nicht gerade Erntezeit war, hat man sich über Besuch auch immer gefreut.«
    Ich nicke.
    Es ist eigenartig, dass sich Rabbee im Sommer so gut mit ihm verstanden hat. Eigentlich hätte ihn Armins antimodernes Gerede auf die Nerven gehen müssen. Normalerweise gerät Rabbee bei allem in Wallung, was die zivilisatorische Wirkung von Fortschritt und Aufklärung in Frage stellt. Stattdessen haben die beiden jeden Abend unter der Ölfunzel zusammen gesessen und Kochrezepte ausgetauscht.
    »Habt ihr euch schon vorgestellt?«, frage ich Zubieta. »Hast du Armin von deiner Reise erzählt?«
    Der Freund nickt eifrig, den argentinischen Akzent macht er perfekt nach. »Meine ganze Lebensgeschichte habe ich erzählt. Von den ausgewanderten Großeltern bis zum überfallartigen Besuch bei der Verwandtschaft …« Er duzt sogar wie ein Argentinier, er verwendet das vós. »Warst du schon mal in Südamerika?«
    Katharinas Vater schüttelt den Kopf. »Seit ich den Garten habe, bin ich sehr gebunden.«
    »Ich weiß«, erwidert der Freund, »meine Eltern hatten auch einen Garten.«
    Ich gehe zur Tür und stelle mich in den Rahmen. Die Sonne fällt mir ins Gesicht, der hereinstreichende Luftzug trägt den Geruch von Orangen heran. Den Geruch aus dem Traum.
    »Armin, können wir uns nützlich machen?«, frage ich.
    »Soll ich was

Weitere Kostenlose Bücher