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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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wiederkommen könne, wann immer ich wolle.
    Katharinas Vater macht es mir einfach: »Die Leute hier können ziemliche Kotzbrocken sein … Kommt rein, ich leg’ euch schon mal das Bettzeug hin. Das Zimmer kennst du ja.«
    »Danke, das ist unglaublich …«, ich zögere, »… nett …«
    Er winkt ab und steigt die Treppe zu den Schlafkammern hinauf, während ich Zubieta aus dem Wagen hole. Der Freund öffnet sofort die Augen, als ich ihn an der Schulter berühre, aber braucht eine Weile, um zu verstehen, wo wir sind. Ich erkläre ihm, dass er sich als Argentinier ausgeben soll, greife ihm unter die Schulter und helfe ihm, sich ins Haus zu schleppen. Als wir die Kammer im ersten Stock erreichen, hat Armin das Bett bereits bezogen, der Holzfußboden schimmert warm im Licht einer Ölfunzel.
    »Das ist Armin«, sage ich, »der Großvater von Hanna.«
    »Lass ihn in Ruhe«, antwortet Katharinas Vater. »Wir reden morgen, wenn ihr ausgeschlafen habt.«
    Zubieta sinkt aufs Bett, die Metallfedern der Matratze quietschen, ich ziehe ihm Jacke und Hose aus. Die Federdecke, die Armin über ihm ausbreitet, riecht nach Waschmittel.
    Als wir den Raum verlassen, blicke ich Katharinas Vater schuldbewusst an.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich dir bin.«
    Doch er geht nicht darauf ein. »Wenn es ihm heute Nacht schlechter geht, sag Bescheid. Ich kenne hier einen guten Arzt, der sich um die Landarbeiter in den Gewächshäusern kümmert. Der ist in Ordnung.«
    Ich schaffe es nicht, Armin in die Augen zu schauen.
    Nachdem Zubieta sofort in einen tiefen Schlaf fällt, steige ich noch einmal die Treppe hinunter, um Tee für die Nacht zu kochen. Obwohl mir die Glieder vor Erschöpfung schmerzen, bleibe ich lange in der Wohnküche sitzen und starre auf den Küchentisch, die Maserung im Holz.
    Es ist so leise in der Mühle, dass das Dröhnen in meinen Ohren immer lauter zu werden scheint. Als ich endlich nach oben gehe und mich ins Bett lege, frage ich mich, ob es das Echo des Motorengeräuschs ist, das uns den ganzen Tag über begleitet hat, oder ob es von der Zirkulation meines Bluts herrührt.
    Und dann falle ich selbst in einen tiefen, verwirrenden Schlaf.
     
    Eine Eisenbahnfahrt.
    Ich höre Musik. So laut und real, als hätte ich Kopfhörer auf. An den Eisenbahnschwellen wirft es den Zug hin und her, jede Schwelle eine Erschütterung. Der Nahverkehrszug rollt klappernd in ein Industriegebiet hinein: Kräne, Hafenanlagen, rostender Schrott. Auf der anderen Seite der Bucht leuchtet dunkelgrün ein Hang, selbst jetzt im Sommer, es ist heiß, steht am Küstenstreifen sattes Gras. Ich ziehe das Fenster herunter. Der Nahverkehrszug, der über den Grenzfluss holpert, muss das letzte öffentliche Verkehrsmittel Westeuropas sein, in dem sich die Fenster öffnen lassen. Der Wind sticht leicht im Gesicht, die Augen tränen, der Luftzug streicht unter dem Hemd über die Haut. Wie eine Hand, die einen anfasst.
    Der Fischereihafen, die grauen Arbeiterquartiere, ein Bauernhaus mit grünen Fensterläden, die Straße, die Autobahn, ein paar Neubauten.
    Als ich mich umdrehe, der anderen Zugseite zuwende, stelle ich fest, dass das Abteil fast leer ist. Nur zwei alte Frauen sitzen zusammen und reden in einer Sprache, die sich für mich eigenartig, vielleicht kaukasisch anhört. Vor dem Zugfenster, im Osten, zeichnen sich Pyrenäen-Ausläufer ab, viel größer als in Wirklichkeit, unwirklich groß. So verwirrend und einschüchternd wie der Himalaya oder die Anden, ein gewaltiges Hochgebirge. Ich lehne mich auch auf dieser Seite weit hinaus in den Fahrtwind, ins Licht, in die Morgensonne. Zwei Alte schneiden Gras mit der Sense.
    Ich atme tief ein, um den Geruch des trocknenden Grases einzusaugen. Doch es riecht nicht nach Heu, sondern nach blühenden Orangen. Ebenfalls intensiv, aber von ganz anderen Erinnerungen besetzt. Irgendwo an einer klingelnden, geschlossenen Bahnschranke am Weg bellt ein Hund. Ich rufe hinaus – ich weiß nicht, ob zu dem Tier, dem Schrankenwärter, einem Passanten –, ich spreche in einer Sprache, die ich noch nie gehört habe. Ich mag ihren Klang, ich frage mich, ob es wirklich kaukasisch ist. Aber niemand antwortet mir.
    Schließlich erreichen wir eine Bahnstation. Jene verlassene Haltestelle, an der wir am Vortag den Mann namens Pablo abgesetzt haben, aber auch der Bahnhof, an dem ich früher jedes Jahr ausgestiegen bin, wenn ich Montserrat in der Villa besuchte. Eine kleine, leere Zugstation.
    Am Gleis, das an

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