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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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verbringen, uns ausschlafen. Ich weiß nicht, ob Armin zu Hause ist, ich kann ihn nicht anrufen, weil er kein Telefon hat, mir ist nicht klar, ob seine Aufforderung, ihn noch einmal zu besuchen, ernst gemeint war. Vor allem jedoch weiß ich nicht, was ich ihm sagen soll. Von Zubietas Identität darf er nichts wissen, andererseits ist die Anwesenheit des Freundes ein zu unkalkulierbares Risiko, als dass ich sie Armin vorenthalten dürfte.
    Aber weil ich keine andere Wahl habe, glaube, keine andere Wahl zu haben, lasse ich schließlich den Motor an und fahre Richtung Osten.
    Und denke dann plötzlich, verwirrt, dass ich verlassen bin, verloren, aber nicht einsam.

XX
    Kurz bevor Rabbee und ich nach Andalusien fuhren, haben wir zusammen Die Zeit, die bleibt gesehen, einen Film von François Ozon. Es ist die Geschichte eines jungen Fotografen, schwul, sehr erfolgreich, von Arbeit und Koks ständig angetrieben, bei dem völlig unerwartet Krebs im Endstadium diagnostiziert wird, ihm bleiben nur noch wenige Wochen. Der Fotograf verzichtet auf eine Chemotherapie, gibt seine Arbeit auf und widmet sich der Aufgabe, sein Leben zu beenden, denn es besteht aus unzähligen, nicht zu Ende geführten Strängen, aus Konflikten, die nach Auflösung schreien. Das Verhältnis zu Schwester und Mutter ist von Verachtung geprägt, mit seiner Beziehung verbindet ihn nichts außer der Erinnerung an den guten Sex von früher, das Verhältnis zu seinem Vater ist oberflächlich. Er weiß, ihm bleiben vielleicht noch zwei, drei Monate, ein Sommer, um sich mit den Freunden und Verwandten auszusprechen. Aber genau das tut er nicht. Er erzählt niemandem von seiner Krankheit, schmeißt den jüngeren Geliebten aus der Wohnung, provoziert einen Familieneklat. Nur der Großmutter gegenüber ist er offen – weil sie sich ähneln, wie er sagt, sie die Verletztheiten teilen und die Großmutter wie er auf den Tod wartet, wie er behauptet. Doch während einer Autofahrt, während eines Besuchs auf dem Land, nimmt die Geschichte vom langsamen Sterben einen unerwarteten Schlenker.
    Dass es sich um eine Wendung handelt, wäre übertrieben, aber es ist zumindest ein überraschender, fast phantastischer Haken. Die Bedienung einer Autobahngaststätte spricht ihn an. Ihr Mann, sagt sie, sei unfruchtbar, sie wünschten sich aber beide ein Kind. Es käme ihm, dem Gast, sicherlich komisch vor, aber er sehe gut aus, und deshalb wollte sie ihn fragen, ob er nicht bereit sei, dieses Kind, das ihr Mann nicht zeugen könne, mit ihr zu machen.
     
    Der Fotograf, die einsamste vorstellbare Existenz, sagt nein, zunächst, er hat nichts für Kinder übrig, er ist schwul, mit seiner Schwester hat er sich immer wegen ihrer Familienanwandlungen gestritten. Aber dann überlegt er es sich anders. Er kehrt zu der Raststätte zurück und schläft mit der Frau, das heißt eigentlich ihrem Mann, er braucht ja den Mann, um sich überhaupt zu erregen, er küsst ihn und kommt dann in ihr, und tatsächlich wird die Frau schwanger. Mit seiner Schwester, den Eltern und dem Ex-Geliebten spricht er sich bis zu seinem Tod nicht aus. Man wartet darauf, als Zuschauer ist man darauf konditioniert, Auflösungen präsentiert zu bekommen, eine Katharsis, die auf das Richtige verweist, aber Ozon enthält einem diese Auflösung vor. Der junge Fotograf macht Annäherungen, Andeutungen, Gesten der Freundschaft, die man als Miniaturbewegungen bezeichnen könnte, doch eine Aussprache findet nicht statt. Und so ist das Einzige, was bleibt, das Kind, das ungeborene Kind. Er vermacht ihm sein Vermögen, das ist seine Art, sich mit der Menschheit auszusöhnen, was sehr lächerlich, sehr kindisch, auf absurde Weise pathetisch erscheint, und stirbt schließlich allein, an einem Strand in Nordwestfrankreich, vielleicht nicht weit von einem von Zubietas Verstecken entfernt, direkt am Meer.
    Rabbees Freund Diedrich schrieb in einer Besprechung, Die Zeit, die bleibt sei ein neokonservativer Film, der das Kinderkriegen als letzte verbleibende Instanz von Sinn etabliert. Ich fand die Kritik blödsinnig. Erstens weil dieser Fortpflanzungswille so hilflos, so aufgesetzt, so verzweifelt wirkte, dass man ihn kaum ernst nehmen konnte, und zweitens weil die Geschichte dieses Fotografen eine Frage aufwarf, die ja wirklich sehr konkret, sehr berührend ist, nämlich die Frage, woher diese Einsamkeit stammt, die einem so bekannt vorkommt, denn der Fotograf ist ja der Prototyp der attraktiven, urbanen Existenz, wie wir sie

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