Der Beweis des Jahrhunderts
machen können«, erzählte mir Rukschin. »Grischa machte sie in einem Fünftel von t . Diese Aufgaben sind mittlerweile Clubklassiker, und niemand kann sich mehr daran erinnern, welche von mir stammen und welche von Perelman.«
Es war eine Verbindung, gestiftet im Himmel der Mathematik.
153 6 .
Schutzengel
»Kaum hatte er seinen Abschluss an der Universität gemacht, besuchte mich seine Mutter«, erzählte Salgaller. »Sein Traum, sagte sie, sei es, an unserem Institut zu bleiben.« Damit meinte sie die Leningrader Abteilung des Steklow-Instituts für Mathematik an der Russischen Akademie der Wissenschaften. Offenbar fand Salgaller nichts dabei, dass die Mutter eines erwachsenen Mannes zu dessen Betreuer geht, um mit ihm über die Promotionsaussichten ihres Sohnes zu sprechen. Wahrscheinlich hatten sowohl Salgaller als auch Ljubow Perelman Grund zu der Annahme, dass etwas geschehen müsse, da Grischa selbst nicht bereit oder fähig war, das Notwendige zu tun, um eine Doktorandenstelle zu bekommen.
Die Zulassungspolitik an den Universitäten und akademischen Einrichtungen hatte sich seit Ende der 1940 er Jahre, als Salgaller nur seinen Namen auf der Liste fand, nicht nennenswert geändert: Nach wie vor konnten Juden praktisch nicht promovieren. Das Steklow-Institut war diesbezüglich besonders berüchtigt. In einem offenen Brief amerikanischer Mathematiker, der 1978 auf dem Weltkongress der Mathematik in Helsinki verbreitet wurde, hieß es: »Das Steklow-Institut für Mathematik ist eine angesehene Einrichtung auf dem Gebiet der Mathematik. In den letzten dreißig Jahren stand es unter der Leitung des Akademiemitglieds I. M. Winogradow, der stolz dar 154 auf ist, dass das Institut in seiner Amtszeit ›judenfrei‹ geworden sei. […] Die Schlüsselpositionen in der Mathematik werden heute von Leuten eingenommen, die nicht nur nicht bereit sind, die Interessen der Wissenschaft und der Wissenschaftler gegenüber den Behörden zu verteidigen, sondern die in ihrer Politik der politischen und rassischen Diskriminierung sogar noch über die offiziellen Richtlinien hinausgehen.« 1
Der Zahlentheoretiker Iwan Winogradow, der fast ein halbes Jahrhundert an der Spitze des Steklow stand, hatte aus der sowjetischen Politik antisemitischer Diskriminierung einen persönlichen Kreuzzug gemacht. Als Perelman auf seine Abschlussprüfung zuging, war Winogradow seit vier Jahren tot – nicht lange genug, um an dem Vermächtnis von fünfzig Jahren antisemitischer Politik zu kratzen, einer Politik, die Winogradows Nachfolger mit mal mehr, mal weniger großer Begeisterung, aber stets im Einklang mit den Grundsätzen sowjetischer Politik fortsetzten. Noch komplizierter wurde Perelmans Lage dadurch, dass alle Entscheidungen, die das Steklow betrafen, in Moskau getroffen wurden; die Leningrader Abteilung hatte auf die Zulassungspraxis wenig Einfluss. Zudem hatte deren neuer Direktor Ludwig Faddejew, Spross einer aristokratischen und leicht exzentrischen St. Petersburger Familie (der Junge wurde nach Beethoven benannt), nie zu erkennen gegeben, wie er persönlich zur antisemitischen Politik seiner Institution stand. »Ich war nicht sicher, was Faddejew von der Idee halten würde«, sagte Salgaller – wobei »die Idee« natürlich war, einem der begabtesten und eifrigsten Studenten, die jemals an der Mathmech gesichtet wurden, eine Forschungsstelle anzubieten. »Also habe ich 155 Burago gefragt.« Juri Burago war ein ehemaliger Student Salgallers und leitete damals am Leningrader Steklow-Institut ein Labor.
Salgaller und Burago heckten einen Plan aus, der darauf hinauslief, im Vorfeld von Perelmans Bewerbung schweres Geschütz aufzufahren. 2 Alexander Danilowitsch Alexandrow würde einen Brief an die Institutsleitung des Steklow verfassen, in dem er darum bitten würde, Perelman am Leningrader Institut unter seiner, Alexandrows, Aufsicht promovieren zu lassen. Die Unverhältnismäßigkeit der Anfrage – ein Vollmitglied der Akademie der Wissenschaften, der Fixstern der gesamten sowjetischen Geometrie, schreibt einen Brief zugunsten eines kleinen Studenten – war genau das, was dem Unternehmen den Erfolg bescheren sollte. Alexandrow gehörte nicht zu denen, die sich am Spiel des Gebens und Nehmens von Gefälligkeiten beteiligten, aber in diesem Fall versprach sein bloßer Status ein positives Ergebnis.
»Wenn nur Burago ihn als Doktoranden hätte annehmen wollen, sie hätten ihn nicht zugelassen«, behauptete Alexei Werner, Schüler
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