Der Beweis des Jahrhunderts
zur Verbreitung und Erforschung mathematischer Ideen, die der Bostoner Geschäftsmann Landon Clay und seine Frau Lavinia gegründet hatten. Das Institut bestand seit zwei Jahren, hatte sich in einem Gebäude in der Nähe des Harvard Square in Cambridge im US -Bundesstaat Massachusetts ein schönes Büro eingerichtet und auch schon einige Forschungspreise vergeben. Nun aber verfolgte das Institut einen wirklich ehrgeizigen Plan. Es ging um die Zukunft der Mathematik. »Die mathematischen Probleme des zwanzigsten Jahrhunderts« sollten dokumentiert wer 8 den, »die sich einer Lösung am erfolgreichsten widersetzt haben und die wir am liebsten gelöst sähen« – so formulierte Andrew Wiles, der britische Zahlentheoretiker und berühmte Bezwinger des Letzten Satzes von Fermat, das Ziel. »Wir wissen nicht, wie noch wann [diese Fragen] gelöst werden, vielleicht in fünf, vielleicht in hundert Jahren. Aber wir glauben, dass wir mit den Lösungen dieser Probleme neue Aussichten auf mathematische Entdeckungen und Landschaften eröffnen werden.« 1
In vielen Volkstraditionen ist die Sieben eine magische Zahl. Und als wollte es ein mathematisches Märchen in die Welt setzen, benannte das Clay Mathematics Institute exakt sieben Probleme und setzte für die Lösung jedes einzelnen von ihnen die sagenhafte Preissumme von einer Million Dollar aus. Im Lauf der Konferenz hielten die ungekrönten Könige der Mathematik Vorträge zu diesen sieben großen Fragen. Sir Michael Francis Atiyah, einer der bedeutendsten Mathematiker des letzten Jahrhunderts, sprach über die von Henri Poincaré 1904 formulierte Vermutung. 2 Mit diesem Klassiker der mathematischen Topologie hätten sich, so Atiyah, schon »viele berühmte Mathematiker […] herumgeschlagen, aber das Problem ist noch immer ungelöst. Es hat viele falsche Beweise gegeben. Viele haben sich bemüht und Fehler gemacht. Manchmal entdeckten sie die Fehler selbst, manchmal waren es befreundete Mathematiker.« Die Zuhörer lachten, mit Sicherheit befanden sich einige unter ihnen, die bei ihren Lösungsversuchen der Poincaré-Vermutung auf dem Holzweg waren.
Die Lösung des Problems, so vermutete Atiyah, werde aus der Physik kommen. Und fügte scherzhaft hinzu, dies 9 sei die Art von Hinweis, »die ein Lehrer, der ein Problem nicht lösen kann, seinem Schüler gibt, der es zu lösen versucht«. Und in der Tat arbeiteten einige unter den Zuhörern an Fragestellungen, von denen sie hofften, sie würden die Mathematik einem Sieg über die Poincaré-Vermutung näherbringen. Doch so recht mochte keiner von ihnen glauben, dass eine Lösung in Sicht sei.
Manche Mathematiker machen aus ihrer Arbeit an berühmten Problemen ein Geheimnis – auch Wiles tat dies, als er über Fermats Letzten Satz arbeitete. Im Allgemeinen aber halten sie sich gegenseitig über ihre Forschungen auf dem Laufenden. Fast jährlich haben Mathematiker mutmaßliche Beweise für die Poincaré-Vermutung veröffentlicht, aber keiner hatte bislang einer Überprüfung standgehalten. Der letzte große Durchbruch war fast zwanzig Jahre alt. 1982 legte der Amerikaner Richard Hamilton so etwas wie ein Konzept zur Lösung des Problems vor. Doch auch Hamilton musste feststellen, dass sein eigener Lösungsentwurf – sein Programm, wie die Mathematiker sagen – zu schwer zu verfolgen war, und seitdem hatte sich niemand mehr mit einer aussichtsreichen Alternative zu Wort gemeldet. Möglicherweise würde die Poincaré-Vermutung, wie die anderen sechs Millennium-Probleme des Clay Mathematics Institute auch, nie gelöst werden.
Sollte es dennoch gelingen, es wäre eine Heldentat. Alle diese Probleme haben jahrzehntelange Forschungsarbeit in Anspruch genommen, und so mancher Mathematiker hat das Zeitliche gesegnet, ohne auf die Frage, mit der er so lange gerungen hat, eine Antwort gefunden zu haben. »Das Clay Mathematics Institute möchte eine deutliche 10 Botschaft aussenden, nämlich dass die Mathematik vor allem deshalb so wertvoll ist, weil es diese enorm schwierigen Probleme gibt, diese Himalayagipfel, diese Mount Evereste der Mathematik«, so der französische Mathematiker Alain Connes, ein anderer Gigant des zwanzigsten Jahrhunderts. »Und sollten wir den Gipfel tatsächlich erklimmen, dann wird das äußerst schwierig gewesen sein – vielleicht werden wir dafür sogar mit dem Leben bezahlen. Wahr bleibt indes, dass, sollten wir den Gipfel erreichen, die Aussicht fantastisch sein wird.«
In absehbarer Zukunft also war
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