Der Bilderwächter (German Edition)
du dich dann mit ihr?«
Anklagend zeigte Claudio mit dem Finger auf mich, als hätte er meinen Namen vergessen oder als ekle es ihn, die beiden Silben auszusprechen.
» Weil ich Lust darauf habe, mal wieder einen Weiberabend mit Jette zu verbringen.«
» Und ich?«, fragte Claudio.
» Du hast doch heute Abend sowieso volles Haus.« Merle nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. » Da wirst du mich kaum vermissen.«
» Der Cousin eines Cousins verlobt sich. Mit einer Deutschen wohlgemerkt. Sein halbes Dorf kommt aus Sizilien angereist.« Claudio warf Merle einen anklagenden Blick zu. » Da brauche ich jede Hilfe.«
» Du hast hunderttausend Leute, die dir helfen.« Merle ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. » Außerdem springe ich oft genug ein. Heute Abend geht es nicht, tut mir leid.«
» Leid?« Claudio schoss die Worte bloß so über den Tisch. » Lügnerin! Es tut dir kein bisschen leid!«
Merle sah tatsächlich nicht aus, als fiele es ihr schwer, Claudio einen Korb zu geben. Ich hatte das Gefühl, eingreifen zu müssen.
» Und wenn wir beide …«
» Bitte, Jette!«, unterbrach Merle mich. » Das hier ist eine Angelegenheit zwischen Claudio und mir.«
» Okay. Bin ja schon still.«
Sie hatte lange gebraucht, bis sie gelernt hatte, sich wenigstens ab und zu gegen den dominanten Claudio zur Wehr zu setzen. Ich bewunderte sie aus vollem Herzen dafür, dass es ihr endlich mal gelang.
Claudio schob den Stuhl zurück und stopfte sein Handy in die Hosentasche.
» Ich gehe«, sagte er und drehte sich in der Mitte der Küche noch einmal dramatisch um. » Und komm heute Abend bloß nicht wieder angekrochen!«
Als die Haustür ins Schloss gefallen war, sah ich Tränen in Merles Augen schimmern.
» Merle …«
» Schon gut.« Sie zog die Nase hoch. » Der kriegt sich auch wieder ein.«
» War das Claudio?« Mike kam herein. Die Haare standen ihm verwirbelt vom Kopf ab. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, gähnte und sah uns forschend ins Gesicht. » Streit?«
» Was sonst?«, fragte Merle.
» Worum ging es denn diesmal?« Mike nahm sich ein Brötchen und biss hinein. Ein Krümel blieb in seinem Mundwinkel hängen.
» Eifersucht«, erklärte Merle knapp.
» Und? Hat er Grund dazu?«
» Hat er doch immer. Diesmal ist er sauer, weil ich einen Abend mit Jette verbringen möchte.«
» Was nicht heißt, dass du uns dabei nicht willkommen wärst«, sagte ich schnell.
» Lieb von euch.« Mike holte sich einen Kaffee und setzte sich wieder an den Tisch. » Aber ich fahre gleich nach Düsseldorf.«
Er hatte den Schrank, an dem er gearbeitet hatte, fertig restauriert und sich offenbar eine kleine Belohnung verdient. Die Trennung von Ilka fiel ihm schwer. Sie nur an den Wochenenden zu sehen, reichte ihm nicht aus.
» Ilka will mit mir über irgendwas sprechen.«
Ich musterte ihn und war erleichtert, als ich keine Anzeichen von Besorgnis fand.
» Über was denn?«, erkundigte Merle sich.
Mike hob die Schultern.
» Darüber wollte sie am Telefon nichts sagen. Sie klang irgendwie bedrückt.«
Als sie am Wochenende zu Hause gewesen war, hatte ich nichts davon bemerkt. Ich hatte aber auch wenig Zeit mit ihr verbracht. Wir befanden uns alle im Aufbruch.
Irgendwohin.
Studium. Beruf.
Und dann die Liebe, die bei keinem von uns unproblematisch war.
Auch Mina schien sich verliebt zu haben. Wenn sie alle paar Wochen mal bei uns war, erzählte sie immer wieder von einem anderen Patienten, mit dem sie offenbar viel Zeit verbrachte.
» Aber es ist zwischen euch doch alles in Ordnung?«, fragte ich.
Mike lachte. In diesem Lachen steckte sein ganzes Glück, um das er von Anfang an hart hatte kämpfen müssen. Und diese unzerstörbare Sicherheit, um die ich ihn so glühend beneidete. Doch er wurde rasch wieder ernst.
» Es kann nichts mit ihrem Studium zu tun haben«, sagte er. » Ich frage mich, ob es ihrer Mutter vielleicht nicht gutgeht.«
Mike und ich hatten Ilkas Mutter, die in einem Pflegeheim lebte, ein einziges Mal gesehen.
Und auch wieder nicht, denn sie hatte mit gesenktem Kopf in ihrem Zimmer gesessen und unsere Anwesenheit gar nicht richtig wahrgenommen. Vor vielen Jahren hatte sie bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ihren Mann verloren und seitdem kein Wort mehr gesprochen.
Ilka besuchte sie, sooft sie konnte. Seit sie in Düsseldorf studierte, waren ihre Besuche jedoch seltener geworden.
» Jedenfalls«, sagte Mike und griff nach einem zweiten Brötchen, » jedenfalls bin ich gleich weg. Ihr
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