Der blaue Express
Sie haben mir den ersten Schimmer der Wahrheit gezeigt, als Sie sagten, dass der Mörder nicht unbedingt im Zug gewesen sein muss. Vorher hatte ich nicht gesehen, wie es gewesen sein könnte.»
Lenox holte tief Atem.
«Ich freue mich», sagte sie, «das ist wenigstens etwas.»
Aus der Ferne tönte der lang gezogene Pfiff einer Lokomotive.
«Das ist der verfluchte Blaue Express», sagte Lenox. «Züge haben etwas Gnadenloses, finden Sie nicht, Monsieur Poirot? Menschen werden ermordet und sterben, aber sie fahren einfach weiter. Ich rede Unsinn, aber Sie wissen, was ich meine.»
«Ja, ja, ich weiß. Das Leben ist wie ein Zug, Mademoiselle. Es geht weiter. Und es ist gut, dass es weitergeht.»
«Warum?»
«Weil der Zug irgendwann einmal das Ende der Reise erreicht, und dazu gibt es ein Sprichwort in Ihrer Sprache, Mademoiselle.»
«‹Am Ende der Reise treffen sich die Liebenden›.» Lenox lachte. «Für mich wird das nicht stimmen.»
«Doch – doch, es stimmt. Sie sind jung, jünger, als Sie selbst wissen. Vertrauen Sie dem Zug, Mademoiselle; der Lokomotivführer ist nämlich le bon Dieu.»
Wieder war das Pfeifen der Lokomotive zu hören.
«Vertrauen Sie dem Zug, Mademoiselle», murmelte Poirot wieder. «Und vertrauen Sie Hercule Poirot – er weiß Bescheid.»
Über dieses Buch
Im Februar des Jahres 1927 reist Agatha Christie mit ihrer siebenjährigen Tochter Rosalind auf die Kanarischen Inseln. Sie war zu dieser Zeit in schlechter Verfassung, denn die Scheidung von ihrem ersten Ehemann, Archibald Christie, stand bevor, und ihr fehlte die Lust am Schreiben. Nur widerwillig begann sie mit dem Roman The Mystery of the Blue Train. In ihrer Autobiographie lesen wir: «Was mich zur Eile antrieb, das war der Wunsch, besser gesagt die Notwendigkeit, ein weiteres Buch zu schreiben und Geld zu verdienen. Das war der Moment, wo ich vom Amateur zum Profi überwechselte. Ich nahm die Last eines Berufes auf mich, der darin besteht, dass man schreiben muss, auch wenn einem nicht danach zumute ist…»
Das Buch, das im März 1928 bei Collins in London herauskam, war ein großer Erfolg, die Kritiker sprachen ausnahmslos positiv über den Roman, den die Autorin selbst nie recht mochte. Die deutsche Erstausgabe erschien 1957 beim Scherz Verlag.
Die Widmung des Buches «Zwei hervorragenden Mitgliedern des O. F. D. gewidmet – Carlotta und Peter» bedarf der Erklärung. O. F. D. steht für «Order of the Faithful Dogs» («Orden der treuen Hunde»). Nach ihrer Scheidung wurde Agatha Christie von manchen «guten» Freunden im Stich gelassen. Halb ernst, halb im Spaß kam sie zusammen mit ihrer Sekretärin Charlotte Fischer, genannt Carlotta auf die Idee, Orden zu vergeben – wahre Freunde bekamen den «O. F. D. erster Klasse», andere den «Rattenorden dritter Klasse». Peter, dem das Buch gleichfalls gewidmet ist, dürfte ihr sprichwörtlich treuester Freund gewesen sein: ihr Drahthaar-Terrier.
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