Der blaue Mond
manifestiert, die ich behalten wollte), lehne ich sie gegen die Wand und mache mich auf den Weg zum Hintereingang.
In Damens Küche gibt es direkt hinter der Spüle ein Fenster, das er immer einen Spalt weit offen lässt. Ich schiebe die Finger unter der Kante durch, drücke das Fenster ganz nach oben und krabbele über ein Spülbecken voller leerer Glasnaschen, ehe ich auf den Boden springe. Meine Füße treffen mit einem gedämpften Laut auf, und ich frage mich, ob auch besorgte Freundinnen wegen Einbruchs verklagt werden können.
Ich sehe mich um, mustere den Holztisch mit den Stühlen, das Regal mit den glänzenden Edelstahltöpfen, die High-Tech-Kaffeemaschine, den Mixer, den Entsafter - allesamt aus der Kollektion der modernsten Küchengeräte, die man für Geld kaufen (oder die Damen manifestieren) kann. Sorgfältig ausgewählt, um den Anschein eines normalen, wohlhabenden Lebens zu erwecken, wie Accessoires in einem geschmackvoll eingerichteten Vorzeigeheim, perfekt inszeniert und komplett unbenutzt.
Ich spähe in seinen Kühlschrank und erwarte, den gewohnt üppigen Vorrat an rotem Saft vorzufinden, doch es sind nur ein paar Flaschen da. Und als ich in seine Speisekammer schaue, wo die neu angesetzten Flaschen drei Tage lang im Dunkeln fermentieren oder marinieren oder was auch immer sie tun, stelle ich entsetzt fest, dass auch hier kaum noch etwas übrig ist.
Ich stehe da, starre auf die Handvoll Flaschen, während mein Magen rumort und mein Herz rast. Etwas an diesem Anblick ist grauenhaft falsch. Damen legt immer solchen Wert darauf, mehr als genug Saft vorrätig zu haben - vor allem jetzt, da er auch noch für meine Versorgung zuständig ist -, dass er die Vorräte niemals derart zur Neige gehen lassen würde.
Allerdings hat er in letzter Zeit auch so viel davon konsumiert, dass sich sein Verbrauch beinahe verdoppelt hat. Insofern ist es also gut möglich, dass er keine Zeit hatte, einen neuen Posten zu brauen.
Was zwar in der Theorie gut klingt, aber im Grunde nicht plausibel ist.
Ich meine, wem will ich denn das weismachen? Damen ist extrem penibel mit diesen Dingen, ja fast schon zwanghaft. Er würde seine Saftbrauerpflichten niemals vernachlässigen - nicht einmal für einen Tag.
Außer wenn etwas ganz entsetzlich im Argen ist.
Und obwohl ich keinerlei Beweise habe, sagt mir mein Bauchgefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, nachdem er sich in letzter Zeit so seltsam benommen hat - die plötzlichen leeren Blicke, ganz zu schweigen von dem Schwitzen, den Kopfschmerzen, dem Unvermögen, alltägliche Gegenstände zu manifestieren oder das Portal zum Sommerland zu durchschreiten. Wenn ich all das zusammenzähle, liegt auf der Hand, dass er krank ist.
Nur dass Damen nicht krank wird.
Auch als er sich vorhin den Finger an der dornigen Rose gestochen hat, ist die Wunde vor meinen Augen sofort wieder geheilt.
Aber vielleicht sollte ich trotzdem anfangen, Krankenhäuser anzurufen - nur zur Sicherheit.
Bloß dass Damen nie in ein Krankenhaus gehen würde. Das wäre für ihn ein Zeichen von Schwäche, eine Niederlage. Viel eher würde er sich verkriechen wie ein waidwundes Tier und sich irgendwohin zurückziehen, wo er allein sein kann.
Allerdings hat er keine Wunden, weil sie stets augenblicklich heilen. Und er würde sich nie verkriechen, ohne mir vorher Bescheid zu sagen.
Andererseits war ich aber auch überzeugt davon, dass er nie ohne mich davonfahren würde, und man sieht ja, wie das geendet hat.
Ich durchwühle seine Schubladen auf der Suche nach dem Telefonbuch - noch ein weiteres Accessoire in seinem Bemühen, normal zu wirken. Denn selbst wenn Damen niemals von sich aus ein Krankenhaus aufsuchen würde, so wäre doch denkbar, dass ihn jemand ohne seine Einwilligung dorthin gebracht hat, falls er einen Unfall gehabt hat oder in irgendein anderes Ereignis außerhalb seiner Kontrolle verstrickt worden ist.
Und obwohl es Romans (höchstwahrscheinlich frei erfundener) Geschichte total widerspricht, dass er Damen hat davonrasen sehen, hält mich das nicht davon ab, sämtliche Krankenhäuser im Orange County anzurufen und zu fragen, ob ein Damen Auguste aufgenommen worden sei, und jedes Mal ein Nein zu kassieren.
Nachdem ich das letzte Krankenhaus angerufen habe, erwäge ich, die Polizei zu verständigen, entscheide mich jedoch rasch dagegen. Ich meine, was soll ich schon sagen? Dass mein sechshundert Jahre alter unsterblicher Freund verschwunden ist?
Genauso viel Glück hätte ich, wenn
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