Der blaue Mond
die einzigen beiden Orte aufsuchen, wo er sein könnte. Und während ich in mein Auto steige und in Richtung Strand lospresche, flehe ich darum, dass ich ihn finde.
VIERZEHN
Ich parke in der Nähe des Shake Shack und gehe zum Meer hinunter. Vorsichtig tappe ich den dunklen, gewundenen Weg entlang, entschlossen, Damens geheime Höhle aufzuspüren, obwohl ich nur ein einziges Mal hier gewesen bin, was zufällig auch das einzige andere Mal war, dass wir wirklich kurz davor waren, es zu tun. Und er hätte es auch getan, wenn ich nicht abgeblockt hätte. Irgendwie hat es schon eine reichlich lange Tradition bei mir, dass ich im entscheidenden Moment auf die Bremse trete. Entweder das oder ich sterbe. Also habe ich natürlich gehofft, dass es heute Abend anders laufen würde.
Doch sowie meine Füße den Sand betreten und ich mir den Weg zu seinem Versteck bahne, muss ich mit Bedauern feststellen, dass es noch ziemlich genauso aussieht, wie wir es zurückgelassen haben: Decken und Handtücher zusammengelegt und in der Ecke aufgestapelt, Surfbretter an die Wände gelehnt, ein Neoprenanzug über einen Stuhl gehängt -aber kein Damen.
Jetzt steht nur noch ein Ort auf meiner Liste, also drücke ich mir selbst die Daumen und laufe zum Auto zurück. Dabei staune ich darüber, wie schnell und geschmeidig sich meine Glieder bewegen, wie meine Füße über den Sand zu schweben scheinen und ich die Strecke so rasch zurücklege, dass ich kaum losgelaufen bin, als ich schon wieder in meinem Käfer sitze und aus der Parklücke stoße. Ich frage mich, seit wann ich das kann und welche anderen unsterblichen Fähigkeiten ich wohl noch haben mag.
Sheila, die das Tor an der Zufahrt bewacht, kennt mich mittlerweile und weiß, dass ich auf Damens Dauerliste mit willkommenen Gästen stehe, also lächelt sie nur und winkt mich durch. Während ich den Hügel zu seinem Haus hinauffahre, fällt mir als Erstes auf, dass kein Licht brennt.
Und ich meine wirklich keines. Nicht einmal das über der Tür, das er immer anlässt.
Ich sitze bei laufendem Motor im Wagen und schaue zu den kalten, dunklen Fenstern empor. Ein Teil von mir würde am liebsten die Tür aufbrechen, die Treppe hinaufstürmen und Damens ganz spezielles Zimmer aufsuchen - das, wo er seine wertvollsten Erinnerungsstücke aufbewahrt - die Porträts von ihm selbst, gemalt von Picasso, van Gogh und Velazquez, und dazu die vielen seltenen Erstausgaben, die unbezahlbaren Kleinodien aus seiner bewegten Vergangenheit, alle in einem überladenen, reich geschmückten Raum. Der andere Teil von mir würde lieber draußen bleiben, da ich weiß, dass ich gar nicht ins Haus zu gehen brauche, um festzustellen, dass er nicht da ist. Der dräuenden Fassade mit ihren steinernen Mauern, dem Ziegeldach und den schwarzen Fenstern fehlt jede Spur seiner warmen, liebevollen Präsenz.
Ich schließe die Augen und versuche, mir seine letzten Worte in Erinnerung zu rufen - irgendwas von wegen, dass er das Auto holen will, damit wir schneller loskommen. Sicher hat er wirklich wir gemeint - dass wir schnell verschwinden sollten, damit wir endlich zusammen sein können - und unsere vierhundertjährige Suche in dieser perfekten Nacht ihre Erfüllung findet.
Ich meine, er kann doch nicht etwa nach einer Möglichkeit gesucht haben, um schneller von mir wegzukommen? Oder doch?
Ich hole tief Luft und steige aus dem Auto, da ich weiß, dass ich nur Antworten bekommen werde, wenn ich in Bewegung bleibe. Meine kalten, nassen Füße schlittern über den taufeuchten Gartenweg, während ich nach dem Schlüssel fummele und mir zu spät einfällt, dass ich den zu Hause gelassen habe. Ich hatte ja nicht im Traum daran gedacht, dass ich ihn ausgerechnet heute Nacht brauchen würde.
Ich stehe vor der Eingangstür und präge mir ihren geschwungenen Bogen ein, das polierte Mahagoni und die ausdrucksstarken, detailreichen Schnitzereien, ehe ich die Augen schließe und eine zweite, identische Tür visualisiere. Ich sehe, wie meine imaginäre Tür sich entriegelt und nach innen aufschwingt, obwohl ich es noch nie ausprobiert habe. Aber ich weiß, dass es geht, nachdem ich gesehen habe, wie Damen ein Tor an unserer Schule geöffnet hat - ein Tor, das nur wenige Minuten zuvor gezielt abgesperrt worden war.
Doch als ich erneut die Augen öffne, habe ich es lediglich fertiggebracht, eine wuchtige Holztür zu manifestieren. Und da ich keine Ahnung habe, wie ich sie wieder loswerde (bisher habe ich ausschließlich Dinge
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