Der blaue Mond
ein blitzlichtartiges Wiedererkennen, ehe er erneut voller Verachtung für mich war, obwohl zwischen uns eine Verbindung besteht, die Jahrhunderte zurückreicht - was kann ich mir dann von Miles und Haven erhoffen, die ich noch nicht einmal ein Jahr lang kenne?
»Also, ich wüsste nicht, warum Damen das alles hätte erfinden sollen«, sagt Haven, während sie mich unverwandt anschaut, mit einem so harten und vernichtenden Blick, dass mir klar wird, dass sie nicht hierhergekommen ist, um mir zu helfen. Denn auch wenn sie so tun mag, als läge ihr nur mein Wohlergehen am Herzen, genießt sie in Wirklichkeit meinen Absturz. Nachdem sie Damen an mich verloren hat, nachdem sie mit ansehen musste, dass Roman nach wie vor hinter mir her ist, obwohl sie ihr Interesse an ihm eindeutig bekundet hat, weidet sie sich an meiner Niederlage. Und sie lässt sich einzig und allein deshalb dazu herab, jetzt neben mir zu sitzen, damit sie mir in die Augen blicken kann, während sie ihren Triumph auskostet.
Ich sehe auf den Tisch herab und bin überrascht, wie weh das tut. Doch ich versuche, nicht zu urteilen und ihr keinen Vorwurf zu machen. Ich weiß nur zu gut, was es heißt, eifersüchtig zu sein, und daran ist nichts rational.
»Du musst loslassen«, sagt Miles und trinkt von seiner Limo. »Du musst loslassen und nach vorne schauen.«
»Alle wissen, dass du ihn verfolgst wie eine Stalkerin«, sagt Haven und bedeckt ihren Mund mit einer Hand, deren Nägel im Gegensatz zu ihrem gewohnten Schwarz zart-rosa lackiert sind. »Alle wissen, dass du in sein Haus eingebrochen bist - anscheinend sogar zweimal. Ehrlich, du hast total die Kontrolle verloren, du führst dich auf wie eine Irre.«
Ich senke erneut den Blick und frage mich, wie lange die Attacke wohl noch dauern wird.
»Als deine Freunde wollten wir dich einfach davon überzeugen, dass du loslassen musst. Du musst Abstand halten und nach vorn schauen. Denn dein Benehmen ist echt total gruselig, ganz zu schweigen von ...«
Haven schwafelt weiter und hakt all die Punkte ab, die sie garantiert miteinander abgesprochen haben, ehe sie das Gespräch mit mir gesucht haben. Aber ich höre nicht mehr hin, seit sie gesagt hat, »als deine Freunde«. Ich will mich daran festklammern und den ganzen Rest ausblenden, selbst wenn es nicht mehr stimmt.
Ich blicke auf. Roman sitzt am Lunchtisch und starrt mich an. Er tippt auf seine Uhr und zeigt dann auf so unheilvolle, bedrohliche Weise auf Damen, dass ich sofort aufspringe. Ich lasse Havens Stimme hinter mir verklingen wie ein fernes Brummen und renne zu meinem Auto, während ich mich dafür ohrfeigen könnte, dass ich meine Zeit mit diesem Zeug verschwendet habe, obwohl weitaus wichtigere Dinge erledigt werden müssen.
SECHSUNDDREISSIG
Ich bin fertig mit der Schule. Ich habe es satt, mich dieser unerträglichen Folter eines tagtäglichen Spießrutenlaufs zu unterwerfen. Ich meine, wozu soll ich hingehen, wenn ich bei Damen auf keinen grünen Zweig komme, sondern bloß von Roman verhöhnt sowie von Lehrern und pseudo-wohlmeinenden Exfreunden belehrt werde? Außerdem, wenn alles so läuft, wie ich es mir erhoffe, bin ich sowieso bald wieder an meiner alten Schule in Oregon und lebe mein Leben, als wäre das hier nie geschehen. Insofern hat es wirklich keinen Sinn, mir das alles noch mal anzutun.
Ich fahre den Broadway entlang, bahne mir den Weg durch die vielen Fußgänger und fahre dann weiter zum Canyon, in der Hoffnung, dort ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo ich das Portal erscheinen lassen kann, ohne nichts ahnende Passanten zu schockieren. Erst als ich geparkt habe, fällt mir auf, dass dies genau die Stelle ist, wo mein erster Showdown mit Drina stattfand - ein Showdown, der meinen ersten Besuch im Sommerland zur Folge hatte, nachdem mir Damen den Weg gezeigt hatte.
Ich rutsche auf dem Sitz ganz nach unten und stelle mir diesen goldenen Lichtschleier vor, bis er genau vor mir schwebt und ich direkt vor der Großen Halle des Wissens lande. Ich nehme mir kaum die Zeit, um ihre großartige, sich permanent wandelnde Fassade zu würdigen, sondern laufe schnurstracks in die große Marmorhalle, in Gedanken ausschließlich bei zwei Fragen:
Gibt es ein Gegenmittel, um Damen zu retten?
Und wie finde ich das geheime Kraut, die letzte Zutat, die für die Zubereitung des Elixiers nötig ist?
Immer wieder wälze ich die Fragen hin und her, während ich darauf warte, dass der Eingang zur Akasha-Chronik erscheint.
Aber nichts.
Keine
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