Der blaue Tod
Bemerkung zu kommentieren, «erwähntest du nicht irgendwann, dass du den Direktor der Kunsthalle ein bisschen kennen würdest?»
Martin nickte. «Alfred Lichtwark, ja. Wir hatten ihn von der ‹Harmonie› aus gebeten, uns einige Empfehlungen zu geben. Es ging darum, dass ein Kunstmaler Porträts altverdienter Mitglieder der Gesellschaft fertigensollte, welche die ‹Harmonie› dann ankaufen wollte. Ich hatte den Vorsitz des Ausschusses inne und habe mich mehrfach mit ihm getroffen. Wieso fragst du?»
«Ich dachte …» Sören zögerte. «Ob du ihn fragen könntest … vielleicht … Also, wenn es die Gelegenheit zulässt, ob er nicht zufällig zu uns stoßen könnte. Ich kann mir vorstellen, dass Fräulein Eschenbach sehr beeindruckt wäre.» Sören schaute Martin erwartungsvoll an. «Was ich damit sagen will: Ich habe doch keinen Schimmer von Malerei.»
«Hättest du ihr dann nicht besser vorgeschlagen, in den Hansa-Concert-Saal, auf die neue Rennbahn nach Groß-Borstel oder irgendwo anders hinzugehen?»
Sören schüttelte den Kopf. «Ein abendlicher Konzertbesuch schickt sich nicht beim ersten Rendezvous. Außerdem ist sie ja selbst Musikerin. Sie freut sich bestimmt über ein wenig Abwechslung. Und Rennbahn … ich weiß nicht. Bei der Hitze und dem Staub?»
«Ich hätte Badeanstalt vorgeschlagen», feixte Martin.
«Sehr komisch.» Sören zog eine Grimasse. «Und? Arrangierst du was?»
«Wenn er da ist und Zeit hat.» Martin nickte. «Ich verabrede mich mit ihm, wir treffen uns dort zufällig, ich stelle euch einander vor, und dann mache ich mich aus dem Staub. So hast du dir das doch in etwa gedacht, oder?»
«Dann würdest du sie auch gleich kennen lernen.»
«Abgemacht. Aber gib nachher nicht mir die Schuld, wenn sich das Fräulein Eschenbach in mich verliebt.»
Der Kutscher blickte Sören entgeistert an. Nicht dass es ungewöhnlich gewesen wäre, sich von der Schauenburger Straße zu den Vorsetzen fahren zu lassen, aber inseiner Aufmachung entsprach Sören nicht im Geringsten der Klientel, die für solche Wegstrecken eine Droschke in Anspruch nahm. Er lächelte in sich hinein, während er dem Kutscher ein Markstück reichte. Es erstaunte ihn immer wieder aufs Neue, mit welch geringem Aufwand sich aus Dr. Sören Bischop der Hafenarbeiter Sören machen ließ. Ein zerschlissener schwarzer Rock, ein staubiger Hut mit lädierter Krempe, ein Paar alte Schuhe und dazu noch ein wenig mit Kohle geschwärzte Wagenschmiere auf der Stirn sowie unter den Fingernägeln reichten aus. Fräulein Paulina hatte die Nase gekräuselt, als er wieder einmal in dieser Aufmachung die Kanzlei verlassen hatte. Dabei kam von ihr der entscheidende Hinweis, auf den hin Sören beschlossen hatte, sich noch heute am Nachmittag ein wenig in der «Möwe» umzuhören. Auch wenn Fräulein Paulina keine Details zu dem Verbrechen kannte, der Name des verstorbenen Wirtes war ihr aus unerfindlichen Gründen geläufig: Wilhelm Mader, genannt Willy. Wahrscheinlich hatte sie in der Zeitung über den Mord gelesen. Sören blickte auf seine Uhr, dann verstaute er das kostbare Erbstück wieder in der Hosentasche. Viertel nach vier. Er kam genau richtig zum Schichtwechsel. An der Ecke Baumwall ließ er sich absetzen. Wenn er seine Rolle glaubhaft spielen wollte, konnte er nicht mit einem Wagen bei der «Möwe» vorfahren.
Kurz vor dem Anleger Baumwall traf er auf die ersten Lüd von de Eck, wie die Arbeit suchenden Hafenarbeiter im Volksmund genannt wurden. Es gab bestimmte Ecken, an denen sie herumlungerten. Wer zu keiner festen Gang gehörte, dem blieb nichts anderes übrig, als sich dieser Form der Arbeitsvermittlung zu bedienen. Die Vorarbeiter suchten sich natürlich mit Vorliebe nurdie kräftigsten Kerle aus, weshalb die Kleinwüchsigen und Schmächtigen an diesen Ecken kaum zu finden waren. Die mussten sich ihren Arbeitsplatz
ertrinken
, wie man es nannte. Das hieß, sie waren auf die Vermittlung durch die Schankwirte der hafennahen Arbeiterspelunken angewiesen. Wer am meisten konsumierte, wurde natürlich auch schneller vermittelt.
An den Vorsetzen hatten unzählige Schuten und Ruderboote festgemacht, von denen die Arbeiter der am anderen Elbufer liegenden Schiffswerften in die Kneipen strömten. Im Gegensatz zu den Festmachern, Schauerleuten, Stauern und Tallymännern arbeiteten die Nieter, Schlosser und Schiffszimmerer der Werften größtenteils im Schichtdienst. Zum Schichtwechsel hin waren die Kellerwirtschaften
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