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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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nämlich so niedrig, dass man kaum aufrecht darunter stehen konnte, und jeder, der aufstand, stieß unweigerlich mit dem Kopf gegen das Netz. Irgendwo fiel ein Krug auf den Boden, woraufhin schallendes Gelächter ausbrach. Am Tresen kabbelten sich zwei Betrunkene, die der riesige Wirt sogleich am Schlafittchen packte und mit einem Fußtritt an die frische Luft beförderte.
    Paule stellte einen Knobelbecher vor Sören auf den Tisch. «Machst du mit, Schüttler?»
    Sören legte einen Groschen zu den Würfeln. «Klar – ein Torfstich!»
    «Gut, zwei Runden, ein Stich!», rief Tom und warf seinen Groschen dazu. Die anderen taten es ihm gleich.
    «Dann geht die erste Runde auf mich», sagte Sören und orderte für sich und die Stauer eine Runde Lütt un Lütt. «Hat man den schon, der’s gewesen ist?», fragte er, als die Biere und Schnäpse verteilt waren.
    «Man munkelt da was», meinte Heiner mit gedämpfter Stimme, woraufhin ihm Tom einen Stoß in die Rippen versetzte.
    «Schnauze!», fauchte er.
    «Wenn der Willy was einbehalten hat   …»
    «Ich sag’s nich noch einmal!» Tom knallte die Faustauf den Tisch und blickte Heiner zornig an. Seine Augen funkelten.
    «Is schon gut. Hab ja verstanden», murmelte Heiner kleinlaut und schob den Becher weiter.
    Sören hakte nicht weiter nach. Auch wenn das hier nur Gerüchteküche war, hatte Toms Reaktion ausgereicht, ihm den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Warum hatte Tom so heftig reagiert? Weil man Sören nicht kannte? Was hätte Wilhelm Mader einbehalten können? War es nur Zufall, dass er gleich beim ersten Gespräch in ein Wespennest gestochen hatte, oder wusste jeder der Stammgäste hier mehr?
    Für heute reichte es. Sören spielte die zwei Runden zu Ende, warf noch einen Groschen zu den Würfeln und verließ die Wirtschaft. Er blickte zur Uhr. Vielleicht traf er im Stadthaus noch Ernst Hartmann an. Ohne detaillierte Informationen über den Tathergang und darüber, was die Polizei über Täter und Opfer wusste, kam er nicht weiter. Normalerweise gab es Auskünfte darüber nur vom zuständigen Staatsanwalt. Normalerweise – es sei denn, man kannte dessen Lieferanten.
     
    Die Droschke hielt wenige Minuten später an der Stadthausbrücke. Sörens Blick fiel auf die neue Kaiser-Wilhelm-Straße, die sich wie ein breiter Flur in Richtung Holstenthor öffnete. Sörens Standpunkt markierte genau die Grenze zwischen Alt- und Neustadt. Für den Bau dieser Straße war vor zwei Jahren das dichte Gängeviertel zwischen Bäckerbreiter- und Specksgang niedergelegt worden. Vereinzelt säumten schon hohe Etagenmietshäuser den neuen Straßenzug.
    Für die Hamburger Polizei hatte man vor vier Jahren ein großes Verwaltungsgebäude an der Ecke zumNeuen Wall gebaut – das neue Stadthaus. Der Bau war vor kurzem eingeweiht worden. Wie viele städtische Verwaltungsbauten war die Fassade in Renaissanceformen gehalten. Entworfen hatte das prachtvolle Gebäude Baudirektor Zimmermann. Er zeichnete für fast alle Bauvorhaben des städtischen Gemeinwesens verantwortlich. Neben den neuen Verwaltungsbauten waren das in letzter Zeit vor allem Schulhäuser, die neuerdings in der ganzen Stadt wie Pilze aus dem Boden schossen. Die Gebäude ähnelten sich alle irgendwie, obwohl man ihren Zweck trotzdem auf den ersten Blick zuordnen konnte. Sören mochte diese Formensprache. Sie erinnerte ihn an Paris, ein wenig auch an Berlin. In diesem Fall war besonders auffällig, dass sich das Stadthaus an der Geschosshöhe des barocken Palais orientierte, in dem der Präsident der Polizei bisher gesessen hatte und das in direkter Nachbarschaft am Neuen Wall stand. Der Neubau war aber nicht nur viel größer, sondern auch moderner. Das Erdgeschoss schien aus dicken Quadern zu bestehen. Es wirkte uneinnehmbar wie eine Festung.
    Ernst Hartmann runzelte die Stirn, als Sören sein Amtszimmer betrat. «Du meine Güte, Sören, wie siehst du denn aus? Fehlt nicht viel, und du gehst als Vigilant der Politischen durch.»
    Polizeisekretär Ernst Hartmann war seit zwei Jahren Leiter der Criminalen Polizeiabteilung. Wie fast alle leitenden Verwaltungsbeamten der Stadt war er promovierter Jurist. Sören kannte Hartmann, der etwa zehn Jahre jünger war, schon seit der Studienzeit. Wie der Zufall es wollte, waren beide Mitglieder in der Gesellschaft «Harmonie».
    Sören blickte grinsend an sich herab. «Entschuldigemeinen Aufzug, aber du weißt ja, es gibt Situationen, wo es ratsam ist, seinen gesellschaftlichen Stand
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